Deutsches Frischblut bringt die deutsche Mark

Bundesregierung legt Wirtschaftsstudie vor: Je mehr Aussiedler, desto mehr Wohlstand / Profite, Renten, Krankenkassen und Konsum - alles floriert durch die „Frischblutzufuhr“ aus dem Osten / 3,5 Millionen Aussiedler: exakt das „deutsche Erwerbspersonenpotential“  ■  Von Vera Gaserow

Berlin (taz) - Die deutschstämmigen Aussiedler, die seit 1987 verstärkt in die Bundesrepublik übersiedeln, sind ein Segen für die deutsche Volkswirtschaft, sanieren die Renten und Krankenversicherung, kurbeln den Konsum und das Bruttosozialprodukt an und sind allseits von Vorteil. So jedenfalls will es eine gestern in Bonn vorgestellte, 500 Seiten dicke Studie des industrienahen Instituts der Deutschen Wirtschaft, hergestellt im Auftrag der Bundesregierung.

Fazit der Studie, die Regierungssprecher Klein gestern stolz präsentierte: Je mehr Aussiedler kommen, desto besser geht's uns allen. Würden bis zum Jahr 2000 alle 3,5 Millionen noch in den Aussiedlungsgebieten lebenden Deutschen in die Bundesrepublik übersiedeln - was jedoch auch nach Meinung der Bundesregierung unwahrscheinlich ist -, würden das Bruttosozialprodukt und die Steuermehreinnahmen um dreistellige Milliardensummen anwachsen.

„Von den sukzessive zuwandernden Aussiedlern gehen kontinuierlich zusätzliche dynamische Nachfrage- und Wachstumsimpulse auf die deutsche Volkswirtschaft aus“, heißt der Kernsatz des Gutachtens, das erstellt wurde, um Vorurteilen gegenüber Aus- und Übersiedlern entgegenzuwirken. Selbst bei einer „moderaten Zuwanderungsrate“ von zwei Millionen Aussiedlern bis zum Jahr 2000 rechnet das Institut der deutschen Wirtschaft mit einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate des Bruttosozialprodukts von 2,5 auf 2,8 Prozent. Schon in den nächsten vier Jahren würden die Zuwanderer die Nachfrage nach Konsumgütern um 60 Milliarden Deutsche Mark in die Höhe schrauben. Kurzfristig kosteten die Aussiedler zwar auch beträchtliche Steuergelder. Schon ab 1992 - so meint jedenfalls das Gutachten - werden sie den Steuersäckel füllen und zweistellige Milliardenbeträge an Steuermehreinnahmen produzieren.

Nicht nur der Staatsetat wäre auf diese Weise durch die Aussiedler gerettet, auch die Renten- und Krankenversicherung ist „dank der relativ jungen Altersstruktur der Aussiedler“ saniert. „Blutauffrischung“ für die Bundesrepublik, nannte der Geschäftsführer des Wirtschaftsinstituts, Vogel, das gestern in Bonn. Ab 1992 würden in der Rentenversicherung „wachsende aussiedlerspezifische Überschüsse erzielt“. Und in zwei Jahren sollen auch die gesetzlichen Krankenkassen von der Zuwanderung profitieren. Dann nämlich sollen deren Beitragszahlungen die für sie geleisteten Ausgaben um Milliardensummen übersteigen.

Einzig die Bundesanstalt für Arbeit wird durch die Aussiedler bis Mitte der 90er Jahre Defizite hinnehmen müssen, denn - so das Gutachten - „die Integration der Aussiedler in den Arbeitsmarkt braucht Zeit“. Die Integrationsperspektiven seien jedoch laut Umfragen unter den Wirtschaftsverbänden günstig. Bei starker Zuwanderung könne es zwar „vorübergehend zu Stauproblemen am Arbeitsmarkt kommen“, aber spätestens nach der Jahrhundertwende seien die Aussiedler eine Entlastung für unser soziales Sicherungssystem „in geradezu enormen Größenordnungen“.

Besonderen Verdienst erwerben sich die Aussiedler auch dadurch, daß sie zumindest zum Teil die Lücken stopfen, die der Geburtenrückgang bei dem „einheimischen deutschen Arbeitskräfteangebot aufreißt“, heißt es in dem Gutachten. Die wachsende Zahl offener Stellen könnte nämlich nur zum Teil von den registrierten Arbeitslosen besetzt werden, und die 3,5 Millionen noch im Ausland lebenden Aussiedler seien exakt das „deutsche Erwerbspersonenpotential“, das man bis zum Jahr 2000 brauche. Umfragen unter den Unternehmen hätten außerdem ergeben, daß unter den Belegschaften „keine generelle Ausländerfeindlichkeit ausgemacht werden kann, geschweige denn eine ablehnende Haltung gegen die deutschen Aussiedler“. Wenn es diese Ausländerfeindlichkeit nicht gibt - warum hat die Bundesregierung denn dann nicht längst ein ähnliches Gutachten in bezug auf Asylbewerber in Auftrag gegeben? Antwort von Regierungssprecher Klein auf der gestrigen Pressekonferenz: „Wir können hier nicht die Probleme von 800 Millionen lösen.“