Schmücker-Prozeß: VS hörte immer mit

Schmücker-Verfahren um einen Skandal reicher: Prozeßbeteiligte ohne Wissen des Innensenators vom Verfassungsschutz belauscht / Alliierte leisteten Amtshilfe / AL: Der Prozeß ist so nicht mehr führbar  ■  Aus Berlin Vera Gaserow

Berlin (taz) - Der Berliner Verfassungsschutz hat mit Hilfe der Alliierten offenbar noch bis Ende der letzten Woche Prozeßbeteiligte des seit Jahren für Skandale sorgenden Schmücker-Verfahrens überwachen lassen. Eine solche Überwachung schließt die Kontrolle des gesamten Briefverkehrs und das Abhören des Telefons ein. Dies geschah ohne Wissen des obersten Dienstherren des Verfassungsschutzes, des Berliner Innensenators Pätzold. Gegen wen genau sich diese jahrelange geheime Abhöraktion gerichtet hat, ist bisher noch unklar, da dieser Komplex am Donnerstag nachmittag in dem streng geheimen Teil der Sitzung des Parlamentsauschusses zur Durchleuchtung des Berliner Verfassungsschutzes zur Sprache kam. Aus dem, was bisher bekannt wurde, läßt sich jedoch folgern, daß entweder eine/r der fünf Angeklagten des Schmücker-Verfahrens oder aber einer ihrer Anwälte systematisch überwacht wurde. Innensenator Pätzold hatte am Donnerstag während des öffentlichen Teils der Sitzung des VS-Ausschusses erklärt, es gebe neben dem aufsehenerregenden Einflußversuch eines leitenden Verfassungsschutzbeamten auf den Schmücker-Prozeß einen weiteren „noch schwerer wiegenden Fall“ in diesem Zusammenhang. Näheres wollte Pätzold jedoch wegen der Vertraulichkeit der Sitzung nicht sagen. Gestern berichtete jedoch Springers aus Sicherheitskreisen gewöhnlich gut unterrichtete 'Morgenpost‘, daß es sich dabei um die jahrelange Überwachung einer Person im Zusammenhang mit dem Schmücker-Verfahren handele. Die Abhöraktion habe ohne Wissen Pätzolds bis Ende letzter Woche angedauert. Erst am vergangenen Freitag habe der Innensenator von der Aktion erfahren und sie sofort gestoppt. Die Sache werde für „äußerst skandalträchtig“ gehalten.

Die Alternative Liste, die im Ausschuß zur Überprüfung des Verfassungsschutzes mitvertreten ist, erklärte gestern in einer Pressemitteilung, der jüngst bekanntgewordene Fall, der noch unter Verschluß liegt, müsse Eingang in die Prozeßakten des Schmücker-Verfahrens finden. Er werde dort von „entscheidender Bedeutung sein“. Nach den jüngsten Erkenntnissen müßten sich Öffentlichkeit und Parlament die Frage stellen, ob der Schmücker-Prozeß noch durchgeführt werden kann. Nach Ansicht der AL hat der Staat durch eigenes Handeln nunmehr einen Strafverfolgsanspruch in dem Mordfall Schmücker verwirkt.

Auch aus dieser Formulierung kann man folgern, daß es sich bei der bis in die jüngste Vergangenheit überwachten Person entweder um eine/n Angeklagte(n) oder aber um einen ihrer Anwälte handelt. Eine solche Überwachungs- und Abhöraktion wäre mehr als ein gravierender Eingriff in die Rechte der fünf Angeklagten. Bei dem mittlerweile dreizehn Jahre dauernden Mordprozeß war in der Vergangenheit immer deutlicher geworden, daß der VS in diesem Verfahren von Beginn an seine Finger im Spiel gehabt hat.