Zwillingstreff am Emmasee

■ Frankfurter Genetiker luden Zwillinge zum Klatsch / 280 Adressen für Forschung gesammelt

Für die beiden 13jährigen Mädchen ist es „toll, ein Zwilling zu sein“. Sie kleiden sich gleich und sprechen gleichzeitig. Als Ungeborene, so berichtet die Mutter, hatten sie den gleichen Herzschlag. Verwechselt zu werden, macht den beiden Kindern großen Spaß. Zum Ratespiel „Wer ist wer?“ gab es am Samstag abend reichlich Gelegenheit: Rund 140 Zwillingspaare waren zum ersten norddeutschen Zwillingstreffen ins Bremer Kaffeehaus am Emmasee gekommen. „So viele Zwillingspaare haben sich in der Bundesrepublik noch nie getroffen“, stellte der Zwillingsforscher Tobias Angert vom Frankfurter Institiut für Anthropologie und Humangenetik stolz fest. An 200 Zwillingspaaren erforscht Angert zur Zeit, welche Anteile Umwelteinflüsse und Vererbung

bei dem Phänomen der Angst haben.

Als „zwangloses Zusammensein, bei dem sich Zwillinge kennenlernen und über die erfreulichen Seiten ihres Daseins austauschen können“, hatte der Frankfurter Wissenschaftler das Bremer Treffen in Zeitungsinseraten angekündigt. Nachdem er zunächst jedem Zwillingspaar zwei Marzipanringe vermacht hatte, erläuterte Angert seine bisherigen Forschungsergebnisse. „Zu 65 Prozent“ seien beispielsweise „Extrovertiertheit und Introvertiertheit genetisch bedingt“, behauptete er und verwies auf „anerkannte psychologische Kriterien“. Auch „Gehemmtheit“ sei zu über 50 Prozent vererbt und nur zum geringeren Teil auf Umwelteinflüsse zurückzuführen.

Das Publikum interessierte sich in den anschließenden Nachfragen allerdings mehr fürs Praktische („Kann es sein, daß es mit Vererbung zu tun hat, wenn sich Zwillinge ohne voneinander zu wissen in verschiedenen Ländern am gleichen Tag ein Muttermal entfernen lassen?“) und amüsierte sich bei der Suche nach dem jeweiligen Doppel der BesucherInnen.

Etwas ganz Besonderes seien sie allerdings nicht, erfuhren die Zwillingsgäste im Kaffeehaus aus Wissenschaftlermund. Immerhin

komme auf 86 Geburten eine Zwillingsgeburt. Von 300 Zwillingsgeburten seien 100 eineiige Zwillinge, 100 Zwillinge gleichen Geschlechts und 100 „gemischte“ Zwillinge. Auch für die „Planung“ eines „Wunschzwillingspaares“ hatte Angert einen Tip parat: „Die Frau muß warten, bis sie älter als 35 Jahre ist, damit steigt die Chance auf ein Zwillingspärchen auf fünf Prozent“. Die besten Aussichten auf doppelten Nachwuchs dürfte jedoch, vermutet Angert, eine Frau über 35 Jahren haben, deren Mutter selbst zweieiigier Zwilling ist.

Während bei den Inkas die Eltern männlicher Zwillinge als besonders potent galten, seien in anderen Ländern die Mütter von Zwillingen auf dem scheiterhaufen gelandet. Im Spanien des 15. Jahrhunderts gab es einen königlichen Erlaß, nach dem eine Zwillingsgeburt als Beweis für die Untreue der Frau galt und mit dem Tode bestraft wurde, weiß Angert.

„Die ganze Veranstaltung diente letztlich dazu, Zwillingsforschung in Deutschland wieder hoffähig zu machen“, kommentierte anschließend eine Mitstreiterin des „Frauenplenums gegen Gentechnologie und Bevölkerungspolitik“, die an dem Zwillingstreffen teilgenommen hatte. Eigentlich war es als Rahmenprogramm der „21. Tagung der Ge

sellschaft für Anthropologie und Humangenetik“ geplant, die einen Tag vor Beginn unter dem Druck des Frauenplenums abgeblasen worden war (vgl. taz vom 19.9.).

Der Verhaltensgenetiker Angert und der ebenfalls am Samstag anwesende Leiter des Frankfurter Instituts für Anthropologie und Humangenetik, Reiner Protsch, wollen in Frankfurt demnächst wieder ein Institut zur Zwillingsforschung gründen. Es wäre dann direkter Nachfolger des „Instituts für Erbbiologie und Rassenhygiene“, an dem sich von 1934 bis 1943 auch der spätere KZ-Arzt von Auschwitz, Josef Mengele, als Assistent mit Zwillingsforschung beschäftigt hatte. Während in den USA schon seit vielen Jahren wieder an menschlichen Zwillingen geforscht wird, war die Methode in der Bundesrepublik nach den Menschenversuchen im Nationalsozialismus bis vor kurzer Zeit tabu.

Tobias Angert bedauerte denn auch in Bremen, daß hierzulande nicht wie zum Beispiel in Dänemark ein „Zwillingsregister“ geführt wird. So muß der Frankfurter Forscher - wie am Samstag in Bremen - aufwendige Veranstaltungen durchführen, um an genügend Adressen von Zwillingen zu kommen. Zumindest die sind von dem munteren Abend am Emmasee geblieben.

taz/dpa