Entfesselter Gigant

■ Das David Murray Quartett im Pumpwerk Wilhelmshaven

„Geduld ist der Schlüssel zur Freude“, schoß es mir durch den Kopf, als sich herausstellte, daß der Auftritt mit einer Stunde Verspätung anfangen sollte. Nachdem die vier Musiker dann endlich um 22.00 Uhr auf der Bühne standen, bedankte sich David Murray fürs Ausharren und erklärte die Verspätung mit Landeproblemen ihres Fliegers. Als Entschädigung fürs Warten versprach er:„We're tryin‘ to give the best we can.“ Was seine Person betraf, so hielt er dies Versprechen fürwahr. Zur Begeisterung des Publikums folgte ein beseeltes Solo dem anderen. Schon im Free-Auftakt des ersten Stückes ließ er die Töne seines Horns explodieren, rasende Läufe, aus rauh-bluesigen Tiefen sprang er ins schneidende Diskant, schraubte sich in pfeifende Höchstlagen. Mit atemberauben

der Kraft und Intensität. Murray blies emphatisch-beseelte, klagend aufbegehrende Töne, verwurzelt in den Blues-und Gospel-Traditionen schwarzer Musik. Live von einer Präsenz und Ausstrahlung, die auf seinen Einspielungen so selten zu hören ist.

Deshalb war es schade, daß seine Mitmusiker - zumindest am Freitag - Klassen darunter agierten. Am deutlichsten Bobby Battle, der anstelle des angekündigten Andrew Cyrille am Drumset saß. Er ersetzte Feeling und Timing, besonders in seinen Soli, durch Lautstärke und Schnelligkeit, verzichtete auf melodische Elemente, haute eigentlich nur drauf. Bassist Wilbur Morris agierte auch nicht inspirierter.

Dave Burrell am Piano konnte da noch am ehesten neben Murray bestehen. In seiner Spielweise vereinigt er einen hauptsächlich

konventionellen Anschlag mit zeitweiligen Ausbrüchen in freie Cluster. Die Vorliebe fürs Konventionelle kam auch in seinen Kompositionen zum Ausdruck, z.B. in „Valley Talk“, einem fast als „Potpourri lateinamerikanischer Tänze“ anmutenden Stück. Seinen Reiz gewann diese Mischung von Latin-Rhythmen allein durch die Ausbrüche Murray's. Dadurch wirkte das Stück, als wenn in einer normalen Tanzkapelle der Saxophonist ausrastet und wie der Teufel bläst.

Nach zwei Stunden, in denen das programmatische „Flowers for Albert“ natürlich nicht fehlen durfte, ließ das begeisterte Publikum die Musiker nur ungern von der Bühne. Was mich betrifft, so bedauerte ich nur Murray's Abgang, aber seine göttlichen Soli hatten mich für alles andere entschädigt. Arnaud