Wer hat Angst vor Sylvia Plath?

■ Hans Kresnik und sein choreografisches Theater eröffnen mit „Sylvia Plath“ die Bremer Tanztheater-Saison

Sylvia Plath auf dem Theater ist schrecklich schön. Schrecklich und schön. Schrecken fahren in die Glieder, das sind die Bilder. Die wälzen sich heiß auf uns ab und zischen, als wären wir kalt. Bilder wie eine brutale Orgel in einer geschlossenen Kirche. Von Bildern entzündete Augen. Hellwacher Alptraum rot wie Blut, weiß wie Eis, schwarz wie tot. Die Geschichte einer Eisprinzessin, die sich vom Eis nicht tragen lassen wollte.

Die amerikanische Schriftstellerin Sylvia Plath ist zu einem Namen geworden, der eine Geschichte geworden ist. Ein Zustand, auf einen tödlichen Punkt gebracht. Sie war eine Alice hinter schrecklichen Spiegeln, mit einer einzigen freien Möglichkeit: Selbstmord. Sylvia Plath ist der Prototyp aus Alice Millers

„Das Drama des begabten Kindes“: hochsensibel, den vorwurfsvollen Wünschen ihrer Umgebung zuvorkommend, auserkoren zur Übererfüllung eines kindlichen Plansolls, Verantwortung für ihr Funktionieren zu übernehmen. Ihr Unvertrauen in die Welt ist so groß, daß sie sich früh, auf Beobachterposten, schreibend aus der Welt stiehlt. Erfolgreich gleich, das gehört sich so für die Tochter der Eiskönigin-Mutter. Einmal schreibt sie: „Nichts fällt mir wohl schwerer im Leben, als zu akzeptieren, daß ich nicht auf irgendeine Weise vollkommen bin.“ Sie kann die pflichtschuldige Kür nicht durchhalten, hat vieleicht doch ein ICH: in der Depression, auf der anderen Seite des Vollkommenheitswahns.

Scheinbar baut sie sich ein Le

ben auf, bekommt Mann und Kinder. Aber nur das Schreiben in langen Nächten verlängert ihre Zeit. Furios-düstere Gedichte entstehen, „Die Glasglocke“, ein autobiografischer Roman. Gelebt hat sie nirgendwo. 1963 hat sie sich, 31jährig, mit Gas umgebracht. Sylvia Plath gilt für viele von uns Frauen als das faszinierend abschreckende Beispiel einer muster -gültig Unterdrückten.

Und da sitzt sie plötzlich auf der Bühne auf ihrem Bett, so, als hätte man ihr gesagt, daß wir kommen und sie für uns tanzen muß, als wäre sie immer noch artig, aber schon todmüde. Links und rechts an den Wänden verjüngen sich lange Kleiderständer mit Spiegeln, das ist der Fundus der Alpgesellschaft; in einem Raum, der ist eine große schwarze

Röhre. Am Ende wartet das schwarzverhangene Loch. Nicht mehr weit davon entfernt ein Schreibmaschinentischchen, zerstreuter Haushalt. Unter dem Bügelbrett kauernd Sylvia Plath. Es ist ein normaler Alltag in ihrem Abgrund. Sie ist schon Mutterehehausschriftstellerinfrau und kurz vor ihrem Selbstmord. Zum letzten Mal passiert ihr Leben, stationäre Visionen und Erinnerungsfolgen. Eine Anordnung von Schrecken: Tödliche Eltern, die Tochter ist ein Posier -Tierchen und eine Last und arbeitet sich ab für keine Liebe, eine zappelnd erstarrte Olympia. Weiße Stoffbahnen fallen vom schwarzen Himmel, decken die weiße Hölle der Elektroschocks: der erste Selbstmordversuch, Besuch der Familienbande, Figuren wie in einem der Schaukästen von Märchencafes, wo man ein Geldstück einwerfen kann, und einige Sekunden lang wackeln ein paar Zwerge mit den Köpfen. Sie verpuppt sich noch wie in einem Kokon, und etwas entschlüpft: ein neues Leben möglicherweise? Nein, ein langer, endgültiger Anlauf zum Ende. Auch wenn jetzt Männer vorkommen, die von Harmonie singen und von Küssen, daß sie lachen möchte. Dabei lauert längst ihre neue Ideal-Identität als Gesamtkunstfrau. Schon schieben sich unheimliche Kinderschiffchen durchs untraute Heim. Der schriftstellernde Ehemann ist ein kalter Konkurrent und Ehebrecher. Kampf-Pas de Deux mit Stuhl und Schreibmaschinen.

Die Röhre hat für Sylvia Plath nur einen Hinterausgang. Und der Tod sitzt schon da, der schwarze Mann, und wird sie im Todestanz führen.

Hans Kresnik bringt die Psycho-Analyse zum Tanzen. Nimmt

Partei gegen die Täter, aber umarmt das Opfer nicht. Er haut nicht nur in die Wunden, sondern reißt sie auseinander, damit sie wieder zu eitern beginnen. „Sylvia Plath“ hat schon in Heidelberg Furore gemacht und ist eines von Kresniks hochkarätigen Mitbringseln. Die Tänzerinnen und Tänzer, allen voran Amy Coleman als Sylvia Plath und Regine Fritschi als ihr „Double“, leisten tänzerische Schwerstarbeit mit einer akrobatisch-furiosen, verrenkten Wucht, fast so, als würden sie gegen uns antanzen. Die

Musik (Werner Haupt) tritt da fast hinter die Figuren zurück, treibt aber die Bedrängnis unerbittlich wie ein schrecklicher Gott voran. Da vergeht einem vor Hören und Sehen der Atem. Und klingt der einsetzende Applaus nicht zuerst nach Märchencafe-Klatschaffen?

Hans Kresnik hat Sylvia Plath ein Tanzmal gesetzt, daß uns über ihre und damit unsere Tragik verzweifeln läßt und tröstet, weil er sie ein Stück lebendig gemacht hat. Hans Kresnik ist wieder da! Claudia Kohlhas