Jugendaustausch als „friedliche Koexistenz“

■ Große Ziele der Jugendverbände aus Riga, Rostock, Gdansk, Bratislava und Bremen / Ernüchternde Erfahrungen des DRK in Polen

Anfang September hatten sich 25 JugendverbandsvertreterInnen zur ersten Internationalen Konferenz der Bremer Städtepartner zusammengefunden. Drei Tage lang wurden Ideen für Begegnungsprogramme diskutiert und Grundsätzliches zum Thema Frieden verabschiedet. Doch die Bilanz der ersten Besuchsreise danach ist ernüchternd. „Wir hatten zwei Wochen lang ein reines Touristen-Programm, vollgestopft mit Museen, Kirchen und wenigen Betriebsbesichtigungen. Eine richtige Gesprächsmöglichkeit mit polnischen Jugendlichen gab es nicht“, resümiert Jörg Achenbach, Sozialpädagoge beim Deutschen Roten Kreuz (DRK), eine zweiwöchige Reise in die Partnerstadt Gdansk.

Erstmals hatte eine Gruppe „besonders benachteiligter“ oder

behinderter Jugendlicher aus dem Berufsvorbereitungsprogramm des DRK am städtepartnerschaftlichen Austausch teilgenommen. Für einige der 14 Jugendlichen war es die erste Auslandsreise ihres Lebens. Vereinbarte Schwerpunktthemen sollten Ökologie und Naturschutz sein. Schließlich handelt es sich bei der polnischen Partnerorganisation des Bremer DRK um die Landjugend, eine an die Bauernpartei angeschlossene Organisation. Doch bis auf den Besuch einer Gärtnerei blieb vom Thema des Besuchsprogramms nichts übrig. „Die Polen zeigten überhaupt kein Interesse an unseren Problemen“, stellte der Betreuer der Gruppe fest.

Dafür hätten die in Bremen benachteiligten Jugendlichen eine ganz neue Erfahrung gemacht „Mit ein paar Westmark in der

Tasche waren sie plötzlich wer“, erinnert sich Jörg Achenbach. Trotz des eher touristischen Programms hätten die TeilnehmerInnen im polnischen Alltag plötzlich Begeisterung und Lernfähigkeiten entwickelt, die ihnen im Ausbildungsprogramm in Bremen nie zugetraut worden waren.

Doch so hatten sich die Funktionäre der Jugendverbände den Sinn städtepartnerschaftlicher Begegnungen nicht vorgestellt. Schon als im Juni 15 Funktionäre der polnischen Landjugend beim Bremer DRK zu Besuch waren, stellten die Gastgeber erschrocken fest, daß „die meisten vor allem Interesse hatten, mal in den Westen zu kommen“, erinnert sich Jürgen Sosna, ehemaliger Netzwerker und jetzt wissenschaftlicher Mitarbeiter des DRK. Auch kleine Handelsge

schäfte und ausgedehnte Einkaufstouren hätten bei den Gästen hoch im Kurs gestanden. Politische Themen seien dagegen möglichst vermieden worden.

„Alle Organisationen messen in ihrer Bildungs-und Erziehungsarbeit der Friedensarbeit und der Aufklärung über den Faschismus einen hohen Stellenwert bei“, hieß es im Protokoll der Bremer Jugendkonferenz. Die Delegierten aus Gdansk, Bratislava, Riga, Rostock und Bremen waren sich auch einig, daß „Treffen unter Jugendlichen Vorrang vor Jugendfunktionärsreisen eingeräumt werden soll“. Doch die Realität des Jugendaustausches zwischen Ost und West hält sich nicht an vorgestanzte Formeln. Von den polnischen TeilnehmerInnen der Funktionärskonferenz waren über die allgemeinen Ziele

hinaus bereits konkrete Wünsche angemeldet worden: Sprachvermittlung, Betriebspraktika für Landwirte oder andere Berufe und konkrete wirtschaftliche Zusammenarbeit der Städtepartner.

Auch der lettische Delegierte aus Riga wünschte sich von dem Jugendaustausch konkrete Informationen: „Ich denke lettisch, aber ich lebe in der Sowjetunion“, beschrieb er der Konferenz seine Situation, für deren Veränderung er im bundesdeutschen Föderalismus nach Erkenntnissen suchen will. „Das umgekehrte Interesse, uns in der reichen Bundesrepublik etwas beizubringen, wurde nicht geäußert“, erinnert sich der Bremer Delegierte Jürgen Sosna.

Eine Ausnahme machte allein die Anfang September aus dem Lager der CDU/CSU neu entfachte Diskussion über den Be

stand der polnischen Westgrenze. „Ausgehend von den Prinzipien der friedlichen Koexistenz zwischen Staaten unterschiedlicher Gesellschaftsordnungen, ist die Grundlage für jede friedliche Entwicklung die Akzeptanz der europäischen Grenzen, wie sie als Ergebnis des von Hitlerdeutschland entfachten Krieges feststehen“, hieß es dazu in der Abschlußresolution der Konferenz.

Noch hat sich neben der „friedlichen Koexistenz“ wenig Streitkultur im städtepartnerschaftlichen Umgang entwickelt. Doch trotz der Ernüchterung ihrer ersten Begegnungsreise will auch die DRK-Gruppe dabei bleiben. „Am Anfang ist man natürlich immer sehr vorsichtig, aber vielleicht wird es beim nächsten Mal schon offener“, hofft Betreuer Achenbach.

Ase