Da zittern die Knie, und die Hände werden feucht

■ Bowling: 1.Grand Prix von Berlin / Ein Gastronomie-Spiel will Sport werden / Eine Welt aus stürzenden Pins, Brooklyns, Turkeys und geölten Bahnen Abgehärmte Hausfrauen blühen auf und abgehalfterte Teppichhändler laufen an der Bowling-lane zu großer Form auf / Das Spiel ist idiotensicher

Als du älter wurdest, schütter dein Haar, dein Rücken krumm, und sich ein stolzes Bäuchlein unter deinem Hemd hochwölbte, war es Zeit für eine sportliche Betätigung. Skat war dir zu aufregend, Tischfußball zu anstrengend. Für den Rentnersport Kreuzworträtsellösen fühltest du dich noch zu jung. Und so hast du dich für Bowling entschieden. Es war von Anfang an die optimale Beschäftigung für dich. Vier Schritte Anlauf, ein Armschwung, die Pins polterten zusammen, dann die Formulare ausfüllen. Bowling ist idiotensicher. Das Spiel, bei dem abgehärmte Hausfrauen noch einmal aufblühen und abgehalfterte Teppichhändler zu großer Form auflaufen. Prompt hast du dich deinen Kollegen in der Bowling -Betriebskampfgruppe des Finanzamts Moabit angeschlossen. Ihr habt zweimal wöchentlich trainiert und am Wochenende gegnerische Firmenmannschaften fertiggemacht. Du warst zuhause in einer Welt aus Linoleumfußböden, Styropordecken, Resopaltischen und Neonlicht. Solange die Kugel rollte und die Pins klappernd zusammenstürzten, warst du glücklich.

Aber seit dem 1.Grand Prix von Berlin ist Bowling keine persönliche Marotte einiger Enthusiasten mehr. Das Turnier war der höchstdotierte Einzelwettbewerb Europas: 240 Teilnehmer kämpften um insgesamt 40.000 Mark Preisgelder, vier Tage lang, manchmal bis drei Uhr nachts. Die Anlage Nord-Bowling im Norden des Wedding glich einem Bienenstock. Europameister und Nationalspieler waren dabei, darunter so illustre Namen wie Diesener, Nickel, Sauka, und natürlich der Berliner Griesener, schon zu Lebzeiten eine Legende. Wenigstens im Bowling ist Berlin allererste Sahne. Alles war aufs Feinste ausgerichtet, Vertreter von Presse und Fernsehen wackelten aufgeregt herum, erschöpfte Spieler löffelten Erbsensuppe, am Rande wurde hochwichtiges Bowling -Zubehör feilgeboten. Bowling Hemden aus „kampfbewährtem Material (mit eingebautem Schweißableiter)“, Gelenkstützen und Finger Grips, erstklassige Urethan-Kugeln „mit maximaler Durchschlagskraft“, Bowlingschuhe, Bowling-Koffer, Puder und Öle.

Die Kampfhandlungen selbst hatten den dramatischen Reiz eines Tortenwettessens. Ein Kieler Koloß donnerte die Kugel mit männlicher Wucht über die Bahn, so daß sich die verschreckten Pins wie von selbst entsetzt flachlegten. Nebenan arbeitete ein junger Mann mit einer heimtückischen Wurftechnik, mittels dieser der Ball erst nach drei Metern Flug die Bahn berührte und dann haltlos in die Pins hineinschlingerte. Ältere Herren in ausgebleichten Sportanzügen suchten mit schlichten Straight Balls zum Erfolg zu kommen, während die feinen Techniker sich längst auf Hook Balls und Curve Balls verlegt haben. Dem Ball wird ein Spin beigegeben, so daß er sich den aufgestellten Pins bogenförmig nähert und „giftig geworden“ unter den Pins umso größere Verwüstungen anrichtet. Nach einem Turkey (drei Strikes hintereinander) sind die Klasseleute noch so cool wie indische Fakire, die Anfeuerungen des Publikums erreichen sie nicht. Sie nehmen den Ball wieder auf, heben ihn meditativ an die Brust, fixieren das Ziel, gehen leicht in die Knie, vier behutsame Schritt Anlauf, und den Ball butterweich auf die Bahn gesetzt, er gleitet davon, acht Kilo schwer, rollt über die 18 Meter lange Bahn, schlägt einen Bogen und dann in die linke Gasse. Abgeräumt. Man möchte seinen Augen nicht trauen. „Also, bei neun Strikes hintereinander, da fangen die Knie schon an zu zittern, die Hände werden feucht“, gesteht ein Spieler danach. Nach dem Wurf wird der Gegner abgeklatscht, die Hände am bereitgelegten Frotteehandtuch abgetrocknet und sanft massiert. Entnervtes Kopfschütteln nach einem Splitwurf, wenn zwei verbliebene Pins weit auseinanderstehen. Auf der Nebenbahn poltert der nächste Ball davon, die Pins stehen dicht beeinander, blinzeln der donnernden Kugel entgegen und flüstern unhörbar: „Bitte nicht, nicht schon wieder“, aber es hilft nichts, sie werden umgeworfen, hochgeschleudert, auseinandergesprengt. „Daß Bowling auch ein harter Leistungssport ist, muß der Öffentlichkeit noch bekannter werden“, hatte der Bundestrainer gefordert. Also sei die geneigte Leserschaft hiermit in Kenntnis gesetzt, daß Bowling eine beinharte Angelegenheit ist, eine echte Bewährungsprobe für Männer, ein zermürbender Härtetest für Körper, Geist und Seele. Der Grand Prix hat sicher dazu beigetragen, daß sich nun auch zartbesaitete Gemüter an die Bowling-lane wagen. Bisher sind erst 10.000 Spieler in Deutschland organisiert, die Dunkelziffer der Freizeitspieler liegt immerhin bei 100.000. Aber im Vergleich zu Skandinavien, wo Bowling Volks- und Schulsport ist, staatlich gefördert, oder gar mit den USA, wo Profispieler vor dichtbesetzten Tribünen und laufenden Fernsehkameras agieren, bleibt für die hiesige Bowling-Szene noch viel zu tun. Gut Holz!

Olga O'Groschen