: Basisdemokratie ernst nehmen
Die Koalitionskrise zum Thema Stromtrasse ist eine Krise der AL ■ K O M M E N T A R
Wenn heute abend der Delegiertenrat der Alternativen Liste über eine Krise zu diskutieren hat, so ist dies nicht die Koalitionskrise, sondern die Krise der Entscheidungsstrukturen der Partei. Die Mitgliederversammlung, das höchste basisdemokratische Organ, hat sich, wie schon bei der Entscheidung über den Transitübergang am Schichauweg, als unfähig erwiesen, bei wichtigen Fragen praktikable und politisch durchdachte Lösungen zu finden. Kommen wenige, heißt die einfache Formel, wird radikal entschieden. Dann erschrecken die zu Hause Gebliebenen und eilen zur erneut einberufenen Mitgliederversammlung, die dann realistisch abstimmt. Dieses Ritual als Basisdemokratie zu bezeichnen ist absurd. Es diskreditiert die Idee der direkten Demokratie und gibt sie der Lächerlichkeit preis. Hier geht es nicht nur um die AL. Die hat nur ihren Ruf zu verlieren. Denn daß Konservative über die „Kindereien“ hämisch grinsen, ist eine schlimme, aber hinnehmbare Folge. Entscheidender ist, daß mit der Unfähigkeit der AL ihren Anspruch einzulösen, auch denjenigen, die noch an eine Alternative zu den herkömmlichen Parteistrukturen glauben, eine Utopie verloren geht.
Daraus zu folgern, die AL sei nicht „regierungsfähig“, ist falsch. Zumal bislang jeder, der diesen Begriff gebraucht hat, die Definition schuldig geblieben ist. Die Parteifunktionäre in Fraktion und Vorstand haben sich ganz im Gegenteil als potente und mächtige Koalitionäre erwiesen. Stellvertretend für eine Basis, die sich ihrer Verantwortung nicht bewußt ist und die Last ihrer Macht nicht tragen will. Denn das Mindeste wäre die physische Anwesenheit auf einer Mitgliedervollversammlung, und nötig wären politisch durchdachte Entscheidungen. Die Stromtrasse abzulehnen, ohne über die Konsequenzen für die Koalition nachzudenken, hat nichts mit Radikalität zu tun. Das sind Sandkastenspiele verhinderter Revolutionäre. Und wenn dann solcherart unsinnige Entscheidungen mit einem entschuldigenden Lächeln und dem Verweis auf die nächste Versammlung beiseitegeschoben werden, kann das nur heißen, daß sich das Parteivolk selbst nicht ernst nimmt. Die AL kann die Basisdemokratie nicht umsetzen und sollte so ehrlich sein ihr Scheitern einzugestehen. Ein totes Prinzip gehört abgeschafft. Nicht, um die Partei „berechenbarer“ zu machen. Das ist das Problem der Sozialdemokraten und braucht die ALer nicht zu kümmern. Sondern, um denjenigen in der Partei, die an politischen Perspektiven rot-grüner Stadtpolitik wirkliches Interesse haben, eine Chanche zu geben. Basisdemokratie als politisches Prinzip zu verteidigen, und es umzusetzen ist - das lebt uns die AL in eindrucksvoller Weise vor - zweierlei.
Brigitte Fehrle
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