ZWISCHEN DEN RILLEN

 ■  Lambada tanzen

Kikilii, Kikilikikii, Laa la la la la, Bahiaiaia, Pelo Pelo Pelo, o oho oo ohoohohoh, Bunda le le, Lambadadadada. Es gibt Dinge auf dieser Erde, die sich mit Worten nicht erklären lassen: Lambada zum Beispiel: HinternBeckenKreisenWackelnWendenWedelnStoßen. Wer wissen will, was Lambada ist, muß ES machen. Zugucken nützt nichts, so lernt man's nie. Zuhören hilft da schon eher. Wer allerdings jahrelang nur Diskogestampfe, Punk, Wave, Metal etc. in sich reingestopft hat, dessen Körper wird es schwer haben, einen synkopierten Beat nachzumachen oder seine verkümmerte Beckenmuskulatur zum Swingen zu bringen.

Swing oder Jinga, wie man in Brasilien sagt, ist Ausdruck von Lebensart. Lust an der Freiheit zu pulsieren ohne definitives Ziel. Eine Fähigkeit, die man in unseren Breiten wirklich suchen muß.

In Brasilien gehört Tanzen zum täglichen Leben. Besonders in Bahia, wo zu den zahllosen Festen des baianischen Sommers oft Tausende lambadatanzender Jugendlicher die Straßen verstopfen. Freude, Frust, Lust und Leid wird in Bewegung umgesetzt. Tanz als soziales Überdruckventil. (Keine schlechte Idee! Vielleicht sollten wir in Kreuzberg den Tanz in den Mai wieder einführen! d.S.) Mal heißt es Danca Crocodilo, mal Samba, mal Danca da galinha oder Forro. Zur Zeit ist Lambada angesagt. Die Musik dazu wird von sogenannten Trios Electricos geliefert. Von der Industrie gesponserte Bands, die zu allen möglichen Anlässen auf riesigen, zu rollenden PAs umgebauten Trucks auftauchen und stundenlang ohne Unterbrechung spielen. Von jedem Trio gibt's natürlich auch Platten, damit auch in der eigenen Hütte abgehottet werden kann. Die Musik: eine Mischung aus Samba, Forro, Merengue, Frevo und Salsa. Immer öfter taucht in den Musiken auch ein Rhythmus auf, der eigentlich aus den schwarzen Slums von Salvador/Bahia kommt: der Samba-Reggae der Afroblocos (schwarze Karnevalsvereine).

Und was hat das alles mit uns hier im kalten Deutschland zu tun? Eigentlich nichts. Vor zwei Jahren noch hätte man ein abschätziges Kopfschütteln geerntet, wenn man auf einer Fete eine Lambadaplatte aufgelegt hätte. Die Melodien zugegebenermaßen - sehr simpel. Der Sound eine Katastrophe: Casiosynthieklänge und ein abgewrackter E-drum-sound. Und rhythmisch viel zu schnell und komplex zum Stampfen und Kopfwackeln.

Und jetzt: Lambadafieber. Wie kommt's? Die sogenannte „world music“ hat es an den Tag gebracht. Die moderne westliche Welt leidet an kultureller Schwindsucht und benötigt eine Frischzellenkur. Und da der Hunger so groß ist, braucht man jeden Tag etwas Neues. Bulgarisches Stimmwunder, algerischen Rai-Pop und jetzt brasilianische Lambada. Daß unsere Seelen und Körper verkümmert sind, weiß offensichtlich nicht nur die Pharma-, sondern auch die Plattenindustrie.

Und wo gibt's die musikalischen Frischzellen, natürlich in der dritten Welt. Und das auch noch billig. Für 150.000 Dollar werden 400 Titel eingekauft. Die kulturelle Bluttransfusion kann beginnen. Erste eingetroffene Konserve: eine Single namens „Lambada“, die mit der Lambada, wie ich sie aus Brasilien kenne, nur noch den Titel gemein hat. Schön langsam, mit durchgehendem Beat und einem braven Akkordeon, damit sich hierzulande auch ja keiner die Beine verknotet.

Und jetzt: die Doppel-LP von CBS dazu. Mit 20 der vierhundert eingeheimsten Titel. Bis auf wenige Ausnahmen alles im Discobeattempo: brav alles auf 120. Ein paar Titel haben Drive, aber das Meiste läuft mit Tempolimit. Also erst mal schön langsam zum Gewöhnen. Für mich eher zum Abgewöhnen. Wenn schon Lambada, dann auch richtig. Man sollte versuchen, an die Originalproduktionen aus Brasilien ranzukommen. Die sind zum einen nicht so langweilig, und zum andern kommen dies Verkäufe wahrscheinlich noch eher den eigentlichen Urhebern dieser Musik, den brasilianischen Musikern zu Gute, als beim Kauf des CBS-Samplers. Läden, die solche Spezialwünsch erfüllen, gibt es nämlich. In Berlin zum Beispiel am Savignyplatz.

Andreas Weiser Lambada, DLP, CBS 465 599