Kälberbarone beim Bauernlegen

■ Agro-Busineß in Westfalen drückt selbständige Landwirte in den Status von Lohnmästern hinab/Dubiose Kreditpolitik spielt Bauern finanziell an die Wand/Agrarmulti Bewital nutzt gezielt traditionelle...

Spätsommer irgendwo westlich von Münster. Der Himmel ist verhangen, es nieselt. Rechts und links der Straße wechseln sich schier unendliche Maisfelder mit Wiesenflächen ab. Hier und da langgestreckte Ställe, in denen - wahrscheinlich mal wieder beschlagnahmtes - Mastvieh steht. Die Luft ist kühl und feucht, es riecht nach Mist.

Ein schöner Anfang für eine Story über das Münsterland. Alles drin: Grüne Wiesen, grauer Himmel, gedopte Kälber. Aber wo ist der fröhliche Bauer mit den roten Bäckchen, der gerade sein Feld pflügt. Der fehlt in dieser Idylle! - Er ist pleite.

Der Hof von Heinrich Lütkenhorst (36) liegt an einer kleinen Straße zwischen Ramsdorf und Südlohn. Vor dem Wohnhaus steht ein riesiger Kälberstall, in dem rund dreihundert Tiere Platz hätten. Aber es herrscht Totenstille. Der Stall - Lütkenhorsts einzige Erwerbsquelle

-steht leer.

Am 17. Oktober vergangenen Jahres wurde das letzte Kalb abgeholt. Bis dahin war Bauer Lütkenhorst für den in Verruf geratenen Agrar-Multi Bewital aus Oeding Lohnmäster.

Sein Schicksal und das seines Hofes sind symptomatisch für eine Entwicklung in der Landwirtschaft, die wenigen Agrarindustriellen immer mehr Macht über die Landwirte verschafft. Lohnmast ist das Stichwort, und viele Betroffene buchstabieren das „Leibeigenschaft“.

Seit 1969 war Lütkenhorst Lohnmäster, seit 1979 für Bernhard Wiggers Bewital. Seine Aufgabe als Lohnmäster bestand darin, die von Bewital gelieferten Kälber zu füttern und zu pflegen. Waren sie groß und vor allem dick genug, wurden sie von Bewital wieder abgeholt und verkauft. Lütkenhorst bekam eine neue „Runde“ Kälber, wie es in der Branche heißt. Das Futter stellte Bewital. Zwanzig Mark gab's pro Kalb und Monat - ein guter Job, wie Lütkenhorst dachte.

Billige Lohnmast

Mit einem Bankkredit finanzierte er den Bau neuer Kälberboxen auf seinem Hof. Die Zinsen für den Kredit wollte er mit dem zusätzlichen Mast-Honorar decken: „Das hat sich gerechnet.“ Dessen Höhe wurde nach alter westfälischer Art per Handschlag vereinbart, einen schriftlichen Vertrag gab es nicht. Dafür war Lütkenhorst jetzt völlig abhängig von den Zahlungen Wiggers.

1986 trat der an Lütkenhorst heran, um ihm eine Umstellung auf Eigenmast vorzuschlagen - allerdings nur formal. Wigger verkaufte ihm die Kälber auf Pump mit dem Versprechen, sie nach der Mast zurückzukaufen. 25 Mark pro Kalb und Monat sollten für Lütkenhorst dabei rausspringen. Zunächst lief auch alles nach Plan, doch schon die dritte Runde brachte 75.000 Mark Verlust. Eigentlich hätte Wigger das zahlen müssen, doch der konnte sich plötzlich an keine derartige Abmachung mehr erinnern: „Die mußt du selbst tragen, wir haben dir niemals 25 Mark versprochen.“ Er mußte wieder in Lohnmast, doch nun behielt Wigger den größten Teil der Erträge zur „Deckung des offenen Wechsels in Höhe von 75.000 Mark“ ein. Lütkenhorst konnte die Zinsen nicht mehr zahlen die Zwangsversteigerung kam...

Eine Teilforderung ist zwar noch offen, doch das ist läppisch im Gegensatz zu dem, was Wigger innerhalb der zehn Jahre an Lütkenhorst verdient hat. Lohnmäster sind die billigsten und bequemsten Arbeitskräfte für die Agrarindustrie überhaupt. „Im Schnitt zwölf Stunden am Tag“ hat Lütkenhorst für Wigger gearbeitet - Sonn- und Feiertage eingeschlossen.

Abschluß per Handschlag

Nach Abzug aller Zinsen und Kosten behält ein Lohnmäster monatlich selten mehr als anderthalb tausend Mark für sich und seine Familie, die häufig bei der Mast mithilft.

Die Mastunternehmen brauchen sich nicht um Arbeitslosen und Rentenverscherung zu kümmern, auch das Investitionsrisiko liegt beim Lohnmäster. Die Bauern werden mit vielversprechenden Angeboten und lukrativen Masthonoraren gelockt, da nehmen sie auch gerne Auflagen in Kauf: Außer den Kälbern des Mastunternehmers dürfen sie keine anderen Tiere auf dem Hof halten - angeblich wegen der Infektionsgefahr. Tatsächlich soll ihnen damit jedoch ein Rücktritt von der Lohnmast erschwert werden. Schriftliche Verträge sind in dieser Branche die Ausnahme. Hier geht alles - wie im Fall Lütkenhorst - noch per Handschlag, denn der läßt sich bei einer Klage des Lohnmästers nur schwer verwerten.

Ist ein Betrieb erst einmal auf Lohnmast spezialisiert, zeigen die Großmäster ihr wahres Gesicht. Die Zahlungen pro Mastbox werden langsam verringert, „der Marktlage anpassen“ heißt das dann. Die Lohnmäster haben keine andere Wahl, denn die Agrar-Industriellen verstehen es, ein Abhängigkeitsverhältnis aufzubauen.

„Ausbrennen“ nennt Lütkenhorst die Methode, die Wigger angeblich gern angewandt hat, und die den Konkurs eines Betriebes zur Gewinnmaximierung einkalkuliert. Und das geht so: Die Lohnmäster werden von der Notwendigkeit neuer Ställe überzeugt - zur Not auch mit sanftem Druck. Wiggers Hausarchitekt Karl Wienken habe dann Kostenvoranschläge erstellt, aufgrund derer sich die Bauern Geld von der Bank leihen. Doch die tatsächlichen Kosten übersteigen schnell das Kalkulierte, dann habe Wigger gegen Grundbucheintrag ausgeholfen. Nun konnte er die Mastpreise drücken wie er wollte. Die Bauern mußten nehmen, was sie bekamen, andernfalls würde zwangsversteigert. In so einer Situation war es bereits unmöglich, den Mastunternehmer zu wechseln. Lütkenhorst: „Die anderen wußten doch auch, daß da nichts mehr zu holen ist.“ Irgendwann können fällige Bankzinsen nicht mehr gezahlt werden, und der Betrieb geht in Konkurs. Nach Lütkenhorsts Worten hat Wigger bereits zehn Bauern auf diese Weise ausgebrannt.

Wie im Mittelalter

Vor Gericht ziehen mögen die gebeutelten Lohnmäster nicht. Sie haben ja auch nichts gegen den Mastunternehmer in der Hand. Außerdem sind sie finanziell nicht in der Lage, einen solchen Prozeß zu führen.

Einer von ihnen aus dem Kreis Borken, der jetzt mit ansehen muß, wie sein 600-Kälber-Stall langsam vor sich hin gammelt, deutet auf ein anderes Problem hin: „Die haben gesagt, wenn du klagst, haun wir dir alles kurz und klein.“ Auch das soll schon vorgekommen sein.

Wie groß die Macht der Agrarindustriellen ist, weiß Siegfried Martsch, selbständiger Landwirt und Sprecher der Grünen in Nordrhein-Westfalen zu beschreiben. Im ganzen Raum Borken gibt es nach seinen Schätzungen noch vier oder fünf freie Mäster. Alle anderen sind Lohnmäster oder betreiben „Pro-forma-Eigenmast“, das bedeutet, als Besitzer der Kälber steht der Bauer auf dem Papier - aber auch nur dort. Denn er wird finanziert - und damit bestimmt - von den Großmästern. Bei der totalen finanziellen Abhängigkeit vom „Mastherrn“ drängt sich der Vergleich mit der mittelalterlichen Hörigkeit auf. Ganze fünf Firmen beherrschen noch den Kälbermarkt und sahnen mit Nebengeschäften wie Futtermittelvertrieb und Kälberhandel kräftig ab: Denkavit in Warendorf betreibt außer Lohnmast noch Kälberhandel und verkauft Futter. Bahlmann in Südoldenburg hat darüber hinaus eine Versandschlachterei. Nur noch Viehhandel - den aber nicht zu knapp - betreibt der Sohn von Felix Hying, der das Geschäft seines Vaters nach Informationen der 'Bauernstimme‘ nach dem Konkurs zum größten Teil übernommen hat. Bernhard Wiggers Bewital in Oeding mästet derzeit nach eigenen Angaben rund 2.000 Kälber - darunter jene 1.600 Salbutamol -beschlagnahmten. Branchen-Intimus Martsch nimmt jedoch an, daß Wigger zehnmal soviele Kälber über die Strohmänner Thesing und Große Kleinmann mästet. Auch er habe etliche jener „Pro-forma-Eigenmäster“ an der Kandarre.

Das jüngste der „schwarzen Schafe“ (NRW -Landwirtschaftsminister Matthiesen) ist Josef Brüninghoff. Bis zum Sommer letzten Jahres eine unbedeutende Figur in der Reihe der Kälberbarone. Ihm werden jedoch gute Kontakte zu den Behörden nachgesagt. Martsch will letztes Jahr beobachtet haben, wie zwei Tage vor den Clenbuterol-Razzia bis zur Ausführung eines der bestgehüteten Geheimnisse nachts Lastwagen der Firma Brüninghoff vollbeladen mit Kälbern in Richtung Bochholt fuhren. Und dort hätten auch Anwohner beobachtet, wie die Kälber in aller Eile auf Brüninghoffs Schlachthof geschlachtet worden seien. Hormone wurden bei lebenden Brüninghoffkälbern nie gefunden.

Die Tiere weggeholt

Gemeinsam mit seinen Brüdern Heinrich, der Mischfutter herstellt, Robert, der eine Fettschmelze besitzt, und Paul, der einen Kälberversand betreibt, gehört er zu den Nutznießern des Hormonskandals. Er übernahm fast alle Lohnmäster des Pleitegeiers Hying und katapultierte sich damit an die Spitze der Mastunternehmen. Sein Kälberbestand wird auf 60.000 Tiere geschätzt, mindestens 40 Lohnmäster habe er unter sich. Seine Methoden sind freilich nicht feiner als die des Kollegen Wigger...

Einer, der das momentan am eigenen Leibe erfährt, ist Helmut Bone (34). Stolz führt er jeden Besucher durch seine Ställe: „Die hab ich mit meinen eigenen Händen gebaut.“ Mertsch besorgte den Kredit dafür. Fast 640 Boxen hat er. Alle stehen leer. Vor fünf Jahren begann Bone, für Brüninghoff in Lohn zu mästen. Er war sogar einer der wenigen, die einen schriftlichen Vertrag hatten. 25 Mark pro Box waren vereinbart, doch Brüninghoff scherte sich nicht darum. Er begann auch hier die Preise zu drücken. Bis Oktober letzten Jahres war er auf 15 Mark gegangen. Brüninghoff damals: „An dem Tag, an dem du klagst, hole ich die Tiere raus.“ Das wäre das Aus für Bone gewesen.

Er klagte trotzdem. Zwei Wochen später waren seine Ställe leer. Das war im April. Im August sprach das Landgericht Münster Bone die eingeklagten 121.000 Mark plus Zinsen zu. Auch die Verluste, die Bone bei der Maisernte erlitt, weil er wegen Brüninghoffs Lohnkürzungen keinen Dünger mehr kaufen konnte, sollte der Kälbermillionär zahlen. Doch gesehen hat Bone noch immer keinen Pfennig. Noch immer lebt er von der Sozialhilfe und die ersten Gegenstände in seinem Haushalt wurden bereits zwangsversteigert. Brüninghoff ist in Revision gegangen. Er will zur Not bis zum Obersten Gerichtshof gehen. Bone glaubt nicht, daß es dem Kälbermulti ums Recht geht: „Der will mich doch fertig machen. Der hat das Geld, so einen Prozeß jahrelang zu führen.“ Bone hat es nicht. Er steht vor dem Ruin, dabei hat er schon Pläne für die Zukunft geschmiedet; er will in ökologischer Landwirtschaft machen: „Wenn Brüninghoff zahlen würde, wäre das kein Problem. Aber wahrscheinlich macht er mich kaputt.“

Geschäftsmann Brüninghoff sieht die Sache natürlich anders: Er habe die Preissenkungen mit Bone abgesprochen, „nur war ich so dumm, das nicht schriftlich festzuhalten.“ Daß er Bone die Kälber aus dem Stall genommen hat, habe nichts mit dessen Klage zu tun. „Er war halt ein schlechter Mäster.“ Auch Wigger hält Rechtfertigungen parat. Er habe sich immer an Absprachen gehalten. Die Vorwürfe seien „erstunken und erlogen“.

Um die Lohnmäster von der Willkür der Agrarindustriellen zu befreien, fordert der Grüne Martsch politische Lösungen. In Not geratenen Betrieben sollten die Schulden für zwei Jahre gestundet werden, damit die Bauern sich auf eigenständige Produktion umstellen können. Er fordert ein Förderungsprogramm für die bäuerliche Landwirtschaft und Umstellungshilfe von seiten des Landes. Doch Matthiesen sträubt sich noch. Noch immer werden heimliche Sympathien für eine Zentralisation der Landwirtschaft gehegt. Erst wenige Jahre ist es her, daß die Landwirtschaftskammer Bewital und Brüninghoff als Referenzbetriebe präsentierten.