Blutiges Kalkül

■ Nach dem Abzug der vietnamesischen Truppen aus Kambodscha eskaliert der Machtkampf

Es sah so aus, als würden sich im Zuge der Ost-West -Entspannung auch die Regionalkonflikte lösen. Das Ende der zehnjährigen sowjetischen Besatzung in Afghanistan und der zehnjährigen der Vietnamesen in Kambodscha sollte die neue Ära der Friedlichkeit einläuten. De facto haben sich die sowjetischen Truppen aus Afghanistan zurückgezogen, und tatsächlich werden sich die ausgepowerten Vietnamesen aus dem kostspieligen Engagement in Kambodscha zurückziehen.

Von Frieden kann indes keine Rede sein. Das Spiel der Besatzer gegen die Befreier hat sich in das der Stellvertreter gegen die Verbündeten verkehrt. Weder in Afghanistan noch in Kambodscha wollen die Großmächte langjährige Verbündete einfach fallenlassen. Nach wie vor geht es um die Einflußsphäre der beteiligten Konfliktparteien. Wie die Vereinigten Staaten ihre Unterstützung für den afghanischen Widerstand über Pakistan fortsetzen, werden sie ihren Nachschub für den antikommunistischen kambodschanischen Widerstand über Thailand nicht einstellen. Eingestellt hat man sich hier wie da auf ein militärisches Ausbluten unliebsamer Kontrahenten. Das kommunistische Kabuler Regime hat im Kampf gegen die radikalfundamentalistischen Kräfte schon erhebliche Zugeständnisse an die Regionalautonomie des muslimischen Widerstands gemacht. Und die unglückliche Allianz mit den Radikalfundamentalisten hat sich wie von selbst gelöst, zu keinen Konzessionen bereit, haben sich die heiligsten Krieger unterdessen ins Abseits manövriert.

Es scheint, als setzten die Westmächte in Kambodscha aufs gleiche blutige Kalkül. Nachdem der politische Vorstoß für eine Beteiligung an einer zukünftigen Regierung in Paris auf taube Ohren stieß, wird die kommunistische Regierung in Phnom Penh nun die militärischen Offensiven der Roten Khmer beantworten müssen. Mit der Schlagkraft der maoistischen Guerilla hoffen Sihanouk und seine westlichen Verbündeten, die USA, die ASEAN-Staaten, aber auch Frankreich und Australien eine möglichst günstige Ausgangsposition im Poker um die Macht Phnom Penh herauszuschlagen, taub für Furcht und Schrecken der kambodschanischen Bevölkerung.

In Afghanistan hat sich die Gunst der kriegsmüden Bevölkerung bereits gewendet. Sollte auch in Kambodscha das Bürgerkriegsintermezzo der kommunistischen Regierung Hun Sen zuspielen, hätten die Westmächte am Ende nichts als Waffen geliefert - die ökonomische Öffnung kommt auch ohne ihr Zutun.

Simone Lenz