DDR-Opposition zimmert am Dach

■ „Neues Forum“ und „Demokratischer Aufbruch“ widersprechen anderslautenden Meldungen

Berlin (taz/dpa/epd/ap) - Die rund 80 TeilnehmerInnen des DDR-weiten Oppositionstreffens in Leipzig haben am Sonntag keinen Dachverband ins Leben gerufen. Entsprechenden Meldungen widersprach die Mitbegründerin des „Neuen Forums“, Bärbel Bohley, in einem taz-Interview (siehe Seite 7). Auch der thüringische Pfarrer Edelbert Richter von der Gruppe „Demokratischer Aufbruch“ erklärte, bei dem seit langem geplanten Seminar sei nur über die „mögliche und notwendige Gründung von Vereinigungen und gesetzliche Regelungen sowie über die Perspektiven bestehender Reformprojekte“ gesprochen worden.

Offenbar haben die Gruppen - von denen einige erst in den letzten Wochen gegründet wurden, andere seit Jahren erfolglos vor sich hin werkeln - sich erstmals untereinander vorgestellt. Sie vereinbarten, so Bohley, „daß wir solidarisch sein müssen. Letzten Endes wollen wir das gleiche, aber auf unterschiedliche Weise.“ Manche Gruppen hätten ein Programm und eine Organisationsstruktur. Nicht so das Neue Forum, das eine „Plattform für den gesellschaftlichen Dialog in der DDR werden will“, ohne die Autonomie der einzelnen Gruppen aufzuheben.

Einig scheint man sich in der Ablehnung kapitalistischer Verhältnisse in der DDR sowie einer Wiedervereinigung zu sein. Die in Leipzig anwesenden VertreterInnen von rund zwanzig unabhängigen politischen Gruppen verlangten in einem Protestbrief an das Ost-berliner Innenministerium die Zulassung des Neuen Forums als legale Organisation. In der Bundesrepublik solidarisierten sich einige Prominente, darunter Ossip K. Flechtheim und Wolfgang Biermann, mit dem Neuen Forum. In einem gestern in Bonn veröffentlichten Brief heißt es, die Initiatoren des Forums gehörten zu jenen Kräften, die sich darum „bemühen wollen, den Sozialismus in der DDR wieder attraktiv zu machen“. Für das kommende Wochenende kündigte der Erfurter Pfarrer Richter ein weiteres Initiativentreffen an.

Die Gerüchte, der Dresdner SED-Bezirkschef Hans Modrow habe den Oppositionellen eine Grußadresse geschickt, konnten von der taz nicht erhärtet werden. Gänzlich ausgeschlossen ist das Fortsetzung auf Seite 2

nicht, gilt der Mann doch gemeinhin als Gorbatschows U -Bötchen im Ostberliner ZK. Modrow traf gestern zu einem viertägigen Besuch in Baden-Württemberg ein, eingeladen von der Südwest-SPD. Sie wertete seine Ankunft als einen Beitrag zur Entspannungspolitik. Zur Emigrantenwelle sagte der Sachse: „Wir sind im Gespräch.“

Auf dem Besuchsplan der Delegation steht neben einem Frühstück mit Ministerpräsident Lothar Späth auch eine Visite bei Daimler-Benz. Möglicherweise wird dabei eine erneute Ausweitung des Handels aus

baldowert. Dessen Volumen ist in den vergangenen acht Monaten deutlich gestiegen. Wie das Statistische Bundesamt berichtete, lieferte die BRD in diesem Zeitraum Waren im Wert von 4,93 Milliarden Mark (14 % mehr als im Vorjahr). Täglicher Auswandererreport

20.307 Immigranten, die seit dem 11.September aus der DDR rübermachten (DDR-Jargon), reichen der innerdeutschen Obermutti Dorothee Wilms offenbar noch lange nicht. Die Bonner CDU-Ministerin sagte gestern in Berlin, die Bundesrepublik sei in der Lage, einige hunderttausend DDR -Bürger aufzunehmen. Dies müsse möglich sein und sei auch möglich. „Es wäre gelacht, wenn ein reiches und wohlhabendes Land wie wir nicht diese Menschen integrieren könnten“, rief die Dame Journalisten zu. Bemerkenswert glaubwürdig klingt dann der sich anschließende Satz: Die Bundesregierung ermuntere niemanden, die DDR zu verlassen.

Bis Jahresende rechnet Bonn mit über 100.000 Übersiedlern, darunter sicherlich die mittlerweile über 900 Ausreisewilligen in der Prager Botschaft inklusive der 230 DDR-BürgerInnen in der Warschauer Botschaft. Außenminister Genscher erörterte deren Probleme mit seinem CSSR -Amtskollegen Johanes in New York am Rande der UNO -Vollversammlung. Das gleiche Thema wird er dort auch mit den Außenministern der DDR, Polens und Ungarns besprechen. Konkrete Lösungsmöglichkeiten blieben am Montag reine Spekulation.

Keine Spekulation indes ist die Genesung Erich Honeckers. Elf Monate hatte der 77jährige an seiner Gallenblase laboriert. Gestern saß er wieder in seiner Amtsstube und nahm zwei Beglaubigungsschreiben von Botschaftern entgegen. Gott sei Dank, Erich, daß du wieder da bist. Es wird höchste Zeit, daß du den Laden auf Vordermann bringst.

Knud Rasmussen