„Man muß die Zuschauer auf Nadeln sitzen lassen“

■ Gespräch mit Hans Kresnik, gebürtiger Österreicher, „Erfinder“ des choreografischen Theaters und von Heidelberg „heimgekehrt“ nach Bremen

Da stehe ich plötzlich mit ihm auf der Straße und soll mir eine Kneipe einfallen lassen. Kneipe, Kneipe, wo war denn noch gleich eine Kneipe? Aber da laufen wir schon, ich sage Sätze, tapfer schlau wie möglich, und Kresnik sagt: Bremen ist dreckiger geworden, ich sage, ja, Sie sind eben ein optischer Mensch, und denke, gut, daß dich sonst keiner hört.

Bremen ist also dreckiger geworden, Heidelberg war nicht dreckig, dafür aber so japanisch.

Es ist einfach so, daß es einen irgendwie nervös macht, wenn Hans Kresnik plötzlich neben einem herläuft. Ich war auf ein Viertelstunden-Interwjüchen nach der Generalprobe von „Sylvia Plath“ eingestellt, mit Fragen auf Zeit und jeweils einer kerzengraden Antwort, aber nicht auf „Plaudern mit Hinsetzen“.

Hans Kresnik, slowenischer-Minderheits-Österreicher, von Heidelberg nach Bremen zurückgekommener Tanzrevolutionär, wo er 1968 als „Erfinder“ von choreografischem Theater den „Bremer Stil“ mitprägte, findet schon unterwegs irgendwie „ko

misch, wieder in Bremen zu sein“. Wegen Provinz bestimmt! Falsch. Wenn Kresnik da ist, hat es sich doch ausprovinzt! Natürlich, daß ich da nicht selbst drauf gekommen bin! Sind Sie eitel? Natürlich nicht. Schließlich war er so oft abgebildet, daß er dazu keine Lust mehr „g'hobt hot“. Beruhigend, dieser österreichisch-verschlampte Gemütsklang, mit rollendem Bühnen-RRR zwar, aber witzig weich. Und lebhaft ist der Mann, richtig untypisch, stupst einen hin und wieder in den Arm, wenn's spannend wird, und ist heftig amüsiert, daß ich seine nächste Bremer Uraufführung wissen möchte. Ha! Wenigstens so viel: „'King Lear‘ bestimmt nicht“, ätsch, „ich muß immer das machen, wo ich grade den schnellsten Zugang hab“, aber hallo wird das nächste Stück „sehr wichtig“, für Bremen und international umzu.

Warum Sylvia Plath?

Mit „Sylvia Plath“ hat er seine Bremer Zeit eröffnet. Ein starkes Stück. Wie nähert man sich so ei

ner Figur ? „Ogott, wenn ich das beantworten könnte, könnte ich viele Sachen machen“.

So viel: „Ich versuche mir immer vorzustellen, ich bin jetzt Zuschauer und möchte diese Geschichte jetzt sehen, und dann fällt mir das so ein.“ Ach so. Leben Sie in Bildern? „Jajaklar!!“ (Lieblingswort, Lieblingswort), „das ist ja die neue Form von Theater, die ich in den 67/68ern entwickelt hab‘. Diese Bewegung damals hat ja auch im Theater ganz viele Befreiungsaktionen ausgelöst: Demokratisierung, Mitspracherecht. Ich war ja sehr aktiv in dem ganzen Ding da. Außerdem hatte ich die Nase voll von den Maestros“.

Einmal, da lagen die 60er noch in den Windeln, war Jung -Kresnik, begabter Tänzer, bei Großmeister Balanchine in Amerika und fragt also bei einem handlungslosen Stück: „Master Balanchine, wieso tanz ich, ein 28jähriger Trottel im weißen Trikot, hier, schlepp eine Frau von einer Ecke in die andere, und kein Mensch kann mir erklären, warum. Sogt er: Ich erweitere nur die Musik! Und da hab‘ i g'sogt: Ja, des is mir zu wenig. Und dann hat er g'sogt: Dann mußt du eigene Stücke machen, dann hab‘ ich g'sogt: jadaswerdichauchmachen! “ Also hat Kresnik das auch gemacht. Und war immer unbequem, weil das war doch Scheiße,

immer die gleichen Schritte, was für ein Glück, daß Hübner, legendärer Bremer Intendant, ihn damals nach hier geholt hat. Das war toll in Bremen? „Jawahnsinnig! Stein, Zadek, Neuenfels, jeden Tag Rambazamba, immer politische Diskussionen bis morgens.“ Schließlich hat er damals die Parole mitgeprägt: „Ballett muß kämpfen“. Z.B. die „Schwanensee-AG“, wo die Schwäne Fabrikarbeiter waren, Skandal. „Ich bin immer gegen das Publikum, das Publikum ist mein Feind. Weil es mich ja beurteilt!“ Und heute? „Ich versuche alle Stücke so zu machen, daß die Zuschauer nicht die Möglichkeit haben, auszusteigen. Man muß sie

auf Nadeln sitzen lassen!“ Das tut weh. In Heidelberg hat das halbe Publikum geweint über Sylvia Plath, das war schlimm. Obwohl: Kennen Männer Sylvia Plath? Nein, kann ich bestätigen. „Ja, sie ist eine Figur“, sagt er, „wo sich die Männer net interessieren, aber mich hat das doch auch interessiert?“ Er sinniert: „Komisch, ich arbeite lieber mit Frauen, die sind klarer“, und die liebt er, Männer sind langweilig und begriffsstutzig. Sowieso ist langweilig schrecklich, und Vorhersagbares. Und wie ist dauernd originell? Oh furchtbar! Grauenhaft! Und dann seine vielen Pläne, in München, Stuttgart, Moskau, woher nimmt er die Energie und die Ideen? Na, er zeichnet eben nachts. Und wenn man abdreht, dann haut man sich eben irgendwo sein Bier rein, oder sperrt sich zu Hause ein, vielleicht fällt man dann mal um und dann ist das auch in Ordnung.

Was kommt nach dem Theater? Seine Kinder, Freiheit, Einsamkeit in Bergen und Wüsten. Manchmal macht er auch „goar nix“ oder geht „Schwarzbeernklauben, Himbeernklauben, Brombeernklauben“ , damit er Marmelade machen kann. Bleibt aber vielleicht im Wald stehen, sieht was und denkt, ouh, das muß ich aber machen.

Liest er Kritiken? Nicht mehr. Warum nicht? „Wozu? Die Kritiken helfen mir nicht. Was soll ich mit so Ballettkeksen? Die sagen, der Kresnik mit seinem dreckigen Theater.“

Will er was aus uns Zuschauern machen? „Ich bin kein Brecht.“ Vielleicht bessere Menschen? „Jadasklar!“ Claudia kohlhas