„Da ist einiges kaputtgegangen“

■ Ein Interview mit Witold Kaminski vom Polnischen Sozialrat in Berlin zur „Kanalisierung“ des „Polenmarktes“

taz: Wie kommentieren Sie die Entscheidung des Senats?

Witold Kaminski: Ich würde mich freuen, wenn dies nicht einige Monate zu spät gekommen wäre. Ich kann nicht begreifen, warum das nicht im Juni oder früher möglich war, als sich die Probleme schon längst zugespitzt hatten.

Konsequenz des Verbots vom Juni war eine massive „Polenhatz“. Wie ist da der momentane Stand?

Auf dem Gelände, wo die Polen gehandelt haben, war die Polizei relativ sanft, doch in den Außenbezirken hat sie härter durchgegriffen. Uns sind Mißhandlungen durch die Polizei und unbegründete Verhaftungen bekannt. Außerdem wurden zu Tausenden Ausweisungsverfügungen erteilt. Stempel in die Ausweise, von den Polen „Bärchen“ genannt. Das bedeutet Einreiseverbot für ein Jahr. Zudem gab es Abschiebungen und lebenslange Einreiseverbote.

Glauben Sie, daß die Hatz jetzt eingestellt wird?

Das wäre logisch, aber ich glaube nicht daran. Denn logisches Verhalten kann man von seiten des Senats nicht mehr erwarten.

Der Senat will weiter gegen den gewerblichen Handel, sogennannte Schieber vorgehen. Ist da überhaupt eine Unterscheidung zu den Kleinhändlern möglich?

Ich glaube nicht, daß das gehen wird, denn bisher haben gerade die Schieber von den Maßnahmen des Senats profitiert. Die Kleinhändler, die nur 20, 30 Mark verdienen wollen, wurden massiv angegriffen und ausgewiesen. Deshalb gehen immer mehr Leute auf volles Risiko und bringen mehr Waren, um wenigstens einmal groß zu verdienen: wenn schon, denn schon. Doch statt zu beobachten, ob sich eine Art Großhandelsmafia bildet, hat die Polizei blind zugegriffen.

Es gab Ihrerseits den Vorschlag, daß Senat und Vertreter der Polen die Probleme in einer gemeinsamen Kommission angehen. Hat sich auf den Vorschlag jemals etwas gerührt?

Traurigerweise überhaupt nichts. Ich habe erst gestern von der beabsichtigten „Kanalisierung“ erfahren. Wir haben das schon vor Monaten gefordert. Sicher wissen wir nicht alles besser, doch gemeinsam ließe sich sicher eher eine optimale Lösung finden.

Und die wäre?

Unser Vorschlag ist ein „Internationaler Kunst- und Trödelmarkt“, denn wir wollen nicht Förderer des Handels mit Zigaretten und Wodka sein. Zwar wird dieser Handel weitergehen, solange die Situation in Polen sich nicht ändert, doch den Schwerpunkt des Marktes könnte man zumindest ein bißchen verschieben. In Richtung Kunst, Kultur, internationale Kontakte.

Welche Probleme sehen Sie in der Zukunft?

Viel wird davon abhängen, ob jetzt tatsächlich auch die nötigen Toiletten und Abfallcontainer aufgestellt werden. Außerdem hat es ja auch früher schon Übergriffe militanter Flohmarkthändler von nebenan gegeben, besonders abends, wenn schon viele Polen den Markt verlassen haben. Hier wird die Polizei gefordert sein.

Welchen Eindruck haben Sie von der Stimmung in der Stadt in bezug auf die Polen?

Ich denke, die letzten Monate, die Verfolgungsjagden und die zögerliche Senatspolitik haben einiges kaputtgemacht. Dadurch ist vielleicht auch die Bevölkerung mehr in eine Richtung gekommen, die sich die Republikaner schon lange gewünscht haben. Ich höre aus allen Ecken, daß die Polenfeindlichkeit zunimmt. Autos mit polnischen Kennzeichen werden demoliert oder mit Farbe besprüht. Leute werden zusammengeschlagen, wenn sie sagen, daß sie aus Polen kommen. Da wurde eine Hemmschwelle gebrochen. Jetzt schämen sich die Rechten nicht mehr und sagen offen: „Haut ab, ihr Scheiß-Polacken“.

Interview: kotte