Im Zweifel menschlich

Der Westberliner „Polenmarkt“ kehrt an seinen ersten Platz zurück  ■ K O M M E N T A R E

Die erste veritable Niederlage des rot-grünen Senats, und man darf sich uneingeschränkt freuen: Der „Polenmarkt“ kehrt an seine alte Stelle zurück. Im Laufe eines Jahres hat nun der Senat mittels Zäunen, Ausweisungen, Kontrollen und Polizeieinsätzen die handelnden Polen im Umkreis von einem Quadratkilometer von Platz zu Platz getrieben. Jetzt nun, natürlich inoffiziell, entdeckt der Senat, daß die Polen unvermeidlich sind. Unvermeidlich, mehr nicht. Ein trübes, gutes Ende einer üblen Affäre, den häßlichen armen Teil von Mitteleuropa loszuwerden.

Nicht nur allzu spät schickt sich der Senat in die Realität; er tut es auch mit deprimierenden Argumenten. Nicht das Naturrecht der osteuropäischen Armut an den Brosamen des reichen Westens wird anerkannt, sondern das Grundrecht der Westberliner auf den sauberen Park, vor allem auf den Mendelssohn-Batholdy-Park, den die handelnden Polen letztens vermüllt haben. Im Jahr, in dem sich zum fünzigsten Mal der Überfall auf Polen jährte, hat es der Senat akzeptiert, eine kleine innerstädtische Vertreibungspolitik im Namen der Hygiene zu praktiziern. Nun werden die Polen im Namen der Hygiene akzeptiert. Jetzt nun hört man, daß Polizeieinsätze nicht verhältnismäßig seien. Ein hoher Senatsbeamter sorgt sich gar, daß 25 Prozent der polnischen Bevölkerung bei Wintereinbruch vom Hunger bedroht sind. Das sind keine neuen Einsichten. Das sind vielmehr die Einsichten, die vorher eben überhaupt nicht zählten. Hierzulande scheint Humanität gegenüber Ausländern erst dann möglich, wenn man die Menschen nicht mehr loswird.

Und weit trägt die durch die polnische Ausdauer abgetrotzte Menschlichkeit auch nicht. Die diskriminerenden Zollkontrollen bleiben, wie überhaupt der Senat kaum daran interessiert ist, die Aura der Diskriminierung zu aufzulösen. Daß die diskriminierende Behandlung in West -Berlin allenthalben eine unübersehbare Polenfeindlichkeit gefördert hat, schert die Verantwortlichen wenig. Die nunmehr gescheiterte Polen-(Markt-)Politik zeigt, wie wenig souverän, phantasievoll und menschlich die Berliner Regierung mit der besonderen Lage Berlins umgeht. Der Wunsch, von West-Berlin aus osteuropäische Kaufkraft abzusahnen und die Menschen möglichst draußen zu halten, war immer inhuman. Er war doppelt inhuman bei einem Senat, der sich dem hohen Anspruch einer multikulturellen Gesellschaft verpflichtet hatte.

Klaus Hartung