Soldaten: Imageverlust wie die Henker

Gutachterin setzt sich mit der Erziehung zum Töten auseinander / Auch die Bundeswehr bildet für den Krieg aus / Die Überraschung im Frankfurter „Soldaten„-Prozeß: Angeblich existieren in der Bundesrepublik keine Einsatzpläne für einen Atomkrieg  ■  Von Heide Platen

Frankfurt (taz) - Die Zuschauer- und die Pressebänke waren leer am späten Montag nachmittag des vierten Verhandlungstages gegen den Arzt Peter Augst. Vor dem Frankfurter Landgericht entging der Öffentlichkeit der Höhepunkt des Verfahrens: das Referat der Friedensforscherin und Soziologin Hanne-Margret Birckenbach-Wellmann. Die diesmal fast im Dutzend angetretenen Soldaten höherer Dienstränge hörten den Vortrag der Hamburger Friedensforscherin schweigend, mit unbewegten Mienen und gesenkten Köpfen.

Die Gutachterin der Verteidigung klärte fast zwei Stunden lang auf über Sinn und Ziel der Soldatenausbildung. Wiederum wurde der Gerichtssaal unter Vorsitz von Richter Heinrich Gehrke im Verfahren um den Satz „Alle Soldaten sind Mörder“ zum Ort eines von der Gesellschaft versäumten Diskurses.

Birckenbach-Wellmann bejahte eingangs die Frage, ob alle Soldaten zum Krieg ausgebildet werden. Die Bundeswehr sei da keine Ausnahme. Sie legte dabei das Verteidigungs-Weißbuch von 1985 zugrunde. Schutz von bedrohten Leben sei dort nur rudimentär erwähnt. Es lese sich, „als ginge es um Operationen in geographischen und politischen Räumen, in denen keine Menschen leben, die empfinden, leiden und sterben können“. Und weiter: „Auch der potentielle Angreifer wird als Abstraktum ohne menschliches Antlitz gezeichnet“.

Die inhumane Sprache der Militärs hatte sich im Prozeß mehrfach in Sprachlosigkeit aufgelöst, wenn das Gericht Genaueres über die Folgen eines Atomkrieges für die Zivilbevölkerung hatte wissen wollen. Dieser „strategische Jargon“, so Birckenbach-Wellmann, sei eine der Voraussetzungen für das Handwerk. Sie zitierte die Amerikanerin Carol Cohn: „Wer selbst diese Sprache lernt, bemerkt zwangsläufig, wie abstrakt Denken werden kann - so abstrakt, daß das Überleben von Waffen das Überleben von Menschen dominiert.“

Die Wissenschaftlerin setzte sich ausführlich mit den Deformationen auseinander, denen sich junge Männer während der Erziehung zum Kriegsdienst unterwerfen müssen. Sie konstatierte ein Spannungsfeld zwischen Militär und Gesellschaft. Der allgemeine Konsens lehne in einer modernen Gesellschaft Gewalt als Mittel der Konfliktlösung ab, diese sei tabuisiert und werde bestraft. Die Ausbildung zum Töten stürze das Militär in schwere Identitätskrisen, in ein „unauflösbares Dilemma“. Es müsse in jedem einzelnen Menschen zivile Werte außer Kraft setzen und leide unter zunehmendem Imageverlust: „Die Situation des Soldaten heute ähnelt insofern ein wenig den Arbeitsbedingungen des Henkers“ vor Abschaffung der Todesstrafe. Er war „schlecht angesehen, er galt als unehrlich, man pflegte keinen gesellschaftlichen Verkehr mit ihm“. Dieser Konflikt sei „zivilisatorisch nur durch die Abschaffung der Todesstrafe zu bewältigen, nicht durch eine Aufwertung des Berufs Henker“.

Der Auftrag der Militärs zu töten stehe „nicht gerade im Licht der Öffentlichkeitsarbeit der Bundeswehr“. Dies sei nicht nur eine „bewußte Irreführung der Öffentlichkeit“, sondern auch eine „psychologisch verständliche Abwehrhaltung“: „In gewisser Weise behindert der allgemeine Ekel vor der Gewalt die Fähigkeiten, die Gewalt wahrzunehmen, um sie zu beenden.“ Dieses Phänomen sei auch in der Friedensbewegung wahrzunehmen. „Am ehesten wird den Frauen in der Friedensbewegung die Rolle zugemutet, dieses Tabu zu brechen - allerdings um den Preis, nicht ernst genommen zu werden.“

Am Vormittag hatte der Psychiater Dr. Peter Riedesser über die Angst von Soldaten, zu töten und getötet zu werden, referiert. Er nannte zahlreiche Beispiele aus vergangenen Kriegen und aus den USA, wie durch den Krieg krankgewordene Soldaten wieder frontfähig gemacht werden. Oberstarzt Dr. Werner Häfner bestritt diese Vorwürfe für die Bundeswehr. Er schrieb seiner Armee ein „anderes Menschenbild“ und ein höheres Bildungsniveau zu als das der verbündeten Streitmacht der USA. Truppenpsychologie finde nicht statt, Drill sei nicht mehr üblich. Auch Pläne zur Triage, zur Selektion durch einen Atomkrieg Verletzter, gebe es nicht. Eine Auswahl müßten die Medizinier „lediglich in der Situation des sogenannten Massenanfalls treffen. Diese gelte aber für jeden anderen Arzt auch.

Vorsitzender Richter Gehrke fragte wiederholt nach Einsatzplänen der Bundeswehr für einen Atomkrieg. Häfner versicherte, diese gebe es gar nicht: „Für uns ist ein Atomkrieg aus ärztlicher und militärischer Sicht nicht führbar.“ Richter Gehrke wundert sich zum wiederholten Male in diesem Verfahren: „Gar keine Überlegungen“ - auch keine geheimen? Das sei doch bei der „deutschen Gründlichkeit undenkbar“. Er bohrte ohne Erfolg nach und gab schließlich auf: „Ich nehme das jetzt mal mit den Zeichen des Erstaunens entgegen.“