Krach um das Wunder in der Oberpfalz

Nach dem Goldrausch jetzt die Ernüchterung: Die Vermarktung des ehemaligen WAA-Geländes in Wackersdorf schafft „ungesunden Wettbewerb“ und läßt zahlreiche Gemeinden leer ausgehen / Industriegebiet zum Billigtarif an die Unternehmen verscherbelt  ■  von Bernd Siegler

Nürnberg (taz) - Das Wunder der Oberpfalz, die rasante Vermarktung des ehemaligen WAA-Geländes in Wackersdorf, zeigt seine Kehrseite. Bürgermeister der umliegenden Städte und Gemeinden raufen sich um den Gewerbesteuer-Kuchen und buhlen um die Ausgleichsmillionen. Sie werfen der WAA -Betreibergesellschaft DWK vor, das vollerschlossene Gelände an Großunternehmen zum Billigtarif zu „verscherbeln“. Nach dem Ende der WAA und den versprochenen Entschädigungen für die Region schwelgte Bayerns Ministerpräsident Streibl in den höchsten Tönen. Die Oberpfalz gehe einer „rosigen Zukunft auf der Schiene zum Markt im Osten“ entgegen.

Mit insgesamt 1,5 Milliarden Mark Fördermitteln sollte die Region zum „Mittelpunkt einer hochtechnologisierten Landschaft“ ausgebaut werden. Den prognostizierten wirtschaftlichen Aufschwung legte die bayerische Staatsregierung in die Hände der WAA-Betreiberfirma DWK. Von den Energieversorgungsunternehmen bestens mit einem Kapital von 500 Millionen Mark ausgestattet, sollte die Wiederaufarbeitungs-Firma die Unternehmensansiedlungen koordinieren. Was dann folgte, hatten sich Oberpfälzer Kommunen, die jahrelang mit größter Anstrengung, letztlich aber vergebens, um die Ansiedlung von Industriebetrieben gerungen haben, nicht einmal in ihren kühnsten Träumen vorgestellt:

-Siemens und die Bayernwerk AG werden nördlich des WAA -Geländes eine Solarzellenfabrik mit 400 Arbeitsplätzen errichten.

-Die Bayerischen Motoren Werke (BMW) werden auf dem WAA -Gelände eine Fertigungsstätte für Sonderfahrzeuge mit 1.600 Arbeitsplätzen schaffen. Ein „Paradebeispiel schnellen unternehmerischen Handelns“, jauchzte Streibl. BMW -Planungschef Sämann blieb schon damals auf dem Teppich. Er kalkulierte sofort den Vorteil des größten voll erschlossenen Industriegebietes Bayerns ein und kommentierte nüchtern: „Wir sparen zwei Jahre Planungskosten.“

-Wenig später zog die in Pfreimd ansässige Küchengeräte -Firma Wilden KG nach. Auch sie wird auf dem Gelände bis zu 500 Arbeitsplätze schaffen.

-Schließlich hat der Baumaschinenhersteller Sennebogen 500 Arbeitsplätze versprochen.

„Was sich hier getan hat, gibt es in der Bundesrepublik nicht zweimal“, kommt Anton Hinterdobler von der Handwerkskammer ins Schwärmen. Auch Gert Wölfel, zuständig bei der DWK-Filiale DWW für die Geländeverwertung, ist zufrieden. „Wer vor drei Monaten behauptet hätte, daß hier 2.900 Arbeitsplätze entstehen würden, wäre als Scharlatan bezeichnet worden.“

Daß dennoch nicht alles mit rechten Dingen zugegangen sein kann, dämmert jetzt langsam den umliegenden Gemeinden, an denen die wundersame Entwicklung völlig vorbeigegangen ist. Schwandorfs CSU-Oberbürgermeister Kraus spricht von einem „ungesunden Wettbewerb“. Das Wackersdorfer Gelände werde zu Konditionen „verscherbelt“, die Nachbar-Gemeinden wie Schwandorf „nicht einmal im Traum bieten können“.

Die exakten Grundstückspreise sind zwar Geheimsache, man spricht jedoch von maximal zehn Mark pro Quadratmeter. Der normale Verkehrswert für das jetzt erschlossene Gelände beträgt jedoch mindestens das Fünffache. Nicht einmal mit den üblichen Subventionen auf den Grundstückspreis könne da Schwandorf mithalten, empört sich Kraus. Schon kurz nach dem Aus der WAA war Schwandorfs OB einer der ersten, der „Reparationen für den WAA-Verlust“ gefordert hatte. Jetzt fühlt er sich getäuscht. „Nur im Vertrauen auf die wirtschaftlichen Effekte“, habe er sich für die WAA ausgesprochen und jetzt bleibe „nichts für die Stadt“.

Sein Burglengenfelder Amtskollege Bawidamann (CSU) stimmt ihm zu. Das „bestens erschlossene Gelände“ sei zu „sehr günstigen Bedingungen“ verkauft worden. „Wir liegen auf alle Fälle über zehn Mark, sonst bekommen wir ja wegen unlauterem Wettbewerb gar keine Genehmigung.“ Zusammen mit allen anderen Gemeinden hat auch Burglengenfeld eine ganze Liste von Projekten zur Förderung aus dem bayerischen WAA -Ausgleichsprogramm angemeldet. Doch viele gehen leer aus: Den 225 Millionen Mark Zuschüssen stehen inzwischen schon Einzelprojekte mit einem Gesamtvolumen von 1,1 Milliarden Mark gegenüber. Landrat Bauer aus Neumarkt ist entsprechend sauer. Ausgerechnet der Landkreis, „der sich ohne Vorbehalt für den Bau der WAA“ eingesetzt habe, ist aus diesem Sonderprogramm ausgeklammert worden und guckt in die Röhre.

Auch Neunburgs Bürgermeister Manlik protestiert. Er will dauerhaft verdienen und klammert sich an den alten mit Wackersdorf, Schwandorf und Bodenwöhr abgeschlossenen Vertrag zur Aufteilung der WAA-Gewerbesteuer. Neben Wackersdorf mit 43 Prozent, Schwandorf mit 18 und Bodenwöhr mit 29 sollte Neunburg mit zehn Prozent an der Plutoniumküche profitieren. Jetzt nachdem die WAA gestorben und Ersatzprojekte beschlossen sind, soll es - so Manlik bei dieser Aufteilung bleiben. Pustekuchen!

Die Gemeinde Wackersdorf will nach dem Aus für die WAA die gesamte Gewerbesteuer für sich verbuchen. Und während die traditionelle WAA-Befürwortergemeinde Wackersdorf einem warmen Geldregen entgegensieht, geht das Städtedreieck Maxhütte, Teublitz und Burglengenfeld schweren Zeiten entgegen. Wenn 1990 am Stahl-Standort Maxhütte-Haidhof endgültig die Räder stillstehen, hat dieses Gebiet in den letzten Jahren 4.000 Arbeitsplätze verloren.

Doch es kommt noch schlimmer: Jetzt sollen nach dem Willen der EG-Kommission dem Städtedreieck auch noch die Gelder aus dem Topf der „Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur“ gestrichen werden. Wenn Ende 1991 das Stahlstandort-Programm ausläuft, geht das Städtedreieck völlig leer aus. „Dann haben wir keine Chance mehr, Industriebetriebe bei uns anzusiedeln“, prophezeit Humbs und kündigt Widerstand an.

Der grüne Landtagsabgeordnete Raimund Kamm hat nie an Oberpfälzer Wunder geglaubt. Schon Anfang der 80er Jahre habe BMW Wackersdorf als Standort für sein viertes Werk ins Auge gefaßt. Das sei am Druck der Staatsregierung gescheitert, die die „Arbeitslosigkeit in der Region dazu nutzen wollte, um die Akzeptanz der WAA in der Bevölkerung zu erhöhen.“ BMW kehrt jetzt an den alten Standort zurück, um erneut hohe Subventionen zu kassieren.