: Brecht, Bloch und eine Freudsche Fehlleistung
■ CDU meldet sich in Sachen Ausländerwahlrecht zurück / Auf Volksbegehren und Mißtrauensantrag gegen Momper will sich Diepgen nicht festlegen lassen
Brechtsche Satire als politische Praxis in Berlin befürchtet die Berliner CDU im Fall der Einführung des kommunalen Ausländerwahlrechts. Der Schriftsteller hatte einst den Regierenden in Ost-Berlin vorgeschlagen, sich ein neues Volk zu wählen, wenn ihnen das alte nicht paßt. Solche Absichten unterstellt die CDU nun den Regierenden in West-Berlin, wenn in Zukunft das Wahlvolk um einige Tausend AusländerInnen erweitert werden sollte. In einer Pressekonferenz unterbreitete der Fraktionsvorsitzende der CDU Eberhard Diepgen gestern noch einmal die gesammelten Bedenken gegen ein kommunales Ausländerwahlrecht: Polarisierung in der Bevölkerung, Zunahme extremistischer Ausländerparteien, wachsende Ausländerfeindlichkeit sowie Verfassungswidrigkeit. Sollte das kommunale Wahlrecht für AusländerInnen verwirklicht werden, so stünden alle zukünftigen Wahlen zu den Bezirksverordnetenversammlungen „unter dem Makel der Rechtswidrigkeit“.
Im Unterschied zur heißen Phase vor der Sommerpause gab sich Diepgen gestern allerdings sehr viel verhaltener. Anstelle des noch im Juli angedrohten Mißtrauensantrages gegen den Regierenden Bürgermeister Walter Momper hielt Diepgen es diesmal mit dem Blochschen Prinzip Hoffnung, wonach der Senat „doch noch zu Vernunft kommen“ werde. Zwischen Brecht und Bloch unterlief dem CDU -Fraktionsvorsitzenden eine Freudsche Fehlleistung, als er sich überzeugt zeigte, das Bundesverfassungsgericht werde „das kommunale Wahlrecht für verfassungswidrig erklären“. Egal, was das Bundesverfassungsgericht entscheidet, für die Berliner CDU steht nach den Worten ihres Vorsitzenden „die politische, nicht die juristische Bewertung im Vordergrund“. Damit hat Diepgen vorgesorgt für den Fall, daß die Verfassungsrichter das kommunale Ausländerwahlrecht doch nicht so ohne weiteres vom Tisch räumen, wie die CDU das erwartet.
SPD und AL, die in den letzten Wochen allein die politische Debatte in Sachen Ausländerwahlrecht bestritten, reagierten prompt. Die AL griff Diepgens Bedenken gegen ein „Wahlrecht zweiter Klasse“ dankbar auf und bezeichnete das kommunale Ausländerwahlrecht nur als ersten Schritt. Verfassungsrechtlichen Bedenken setzte die AL das Gutachten des Wissenschaftlichen Parlamentsdienstes (WPD) entgegen, der bereits 1983 die Verfassungsverträglichkeit des kommunalen Ausländerwahlrechts überprüft hatte. Schon damals habe der WPD festgestellt, „daß die gegenwärtige Verfassungslage“ weder das aktive noch das passive Ausländerwahlrecht für die BVVs ausschliesse.
Stellvertretend für die SPD-Fraktion forderte der ausländerpolitische Sprecher Eckhardt Barthel die Berliner CDU auf, sich an ihren niederländischen Kollegen ein Beispiel zu nehmen. Die hätten gemeinsam mit den Sozialdemokraten das Ausländerwahlrecht eingeführt, während die Berliner CDU das Thema benutze, um Emotionen zu entfachen.
anb
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