Kampf um jede Mullbinde

■ Die Arbeit der Sozialstationen leidet unter dem Sparzwang der Krankenkassen

Es kracht an allen Ecken und Enden bei den 64 Berliner Sozialstationen der Wohlfahrtsverbände. Durch Arbeitszeitverkürzungen und neue Tarifabschlüsse müssen sie in diesem Jahr mit einem Defizit von 20 Millionen Mark rechnen. 1988 lagen sie bereits mit 12 Millionen im roten Bereich.

Der Hauptgrund für diese finazielle Misere ist der niedrige Pflegsatz von 38,75 Mark, den die Krankenkassen pauschal pro PatientIn und Tag bezahlen. Zum Vergleich: In Hamburg liegt dieser Pflegesatz bei über 50 Mark. Da sich die Krankenkassen bei den derzeit laufenden Pflegesatzverhandlungen nicht mit der Liga der Wohlfahrtsverbände einigen konnten, machte Gesundheitssenatorin Stahmer Ende August einen Vermittlungsvorschlag: Heute sollen die Krankenkassen mitteilen, ob sie bereit sind, den Pflegesatz auf 44 Mark aufzustocken.

Doch die Gefahr, daß es bei der Versorgung durch die Wohlfahrtsverbände und Sozialstationen zu Engpässen kommt, ist damit noch immer nicht gebannt. Es fehlt an qualifiziertem Personal, die Schwestern und PflegerInnen müssen um jeden Tupfer und jede Mullbinde kämpfen. Das zur Verfügung stehende Material ist knapp: Da wird dann auch mal eine Kompresse oder eine Unterlage dreimal gewendet, obwohl sie eigentlich schon längst in den Mülleimer gehört.

Da die Sozialstationen durch Senatsgelder und Spenden finanziert werden, dürfen sie keine Gewinne machen, und sie unterliegen einem flächendeckenden Versorgungsauftrag - doch der wird ihnen durch das Gesundheitsreformgesetz erheblich erschwert: Die Krankenkassen bewilligen und zahlen Pflege durch die Sozialstationen nämlich nur noch für einen Zeitraum von vier Wochen. Ist der/die PatientIn weiterhin pflegebedürftig, müssen die Sozialstationen dies gegenüber den Kassen schriftlich begründen. Durch diese zusätzlich anfallenden Tätigkeiten bleibt dem Personal immer weniger Zeit für die Pflege.

Die wird dann mehr und mehr von ungelernten ehrenamtlichen MitarbeiterInnen und Hauspflegekräften übernommen, eine Tatsache, die die Überlastungsschraube für das Pflegepersonal noch mehr anzieht: Sie haben keine Zeit, die Hilfskräfte umfassend anzuleiten. Und: Durch die Hintertüre liefern die ehrenamtlichen MitarbeiterInnen das willkommene Argument, um Arbeitsplätze einzusparen, denn Hauspflegekräfte arbeiten bis zu 90 Prozent in ungeschützten Arbeitsverhältnissen. Solange weder der Senat noch die Krankenkassen bereit sind, mehr Geld in die ambulante Versorgung zu investieren, ist der Teufelskreis perfekt.

Martina Habesetzer