BLECH MIT IQ

■ „Der erste Computer der Welt“ im Museum für Verkehr und Technik

Es funktioniert überall, bald rastlos, dann wieder mit Unterbrechungen. Es rasselt, klappert, klopft. Es scheidet aus, es reproduziert sich. Das Gerät... Sein Double arbeitet weniger aufwendig. Ein kultiviertes, sich selbst bewußtes Zweit-Original. Statt laubsägegeformtes Weißblech jetzt Chrom-Vanadium-Stahl. Rostfrei. Ein Museumsstück für immer Zukunft. Seine Musik: eine Ode an die immerwährende Mechanik, im Takt der Präzision eines Uhrwerks, im stetigen, jetzt beschleunigten Widerhall einer Tropfsteinhöhle.

„Dinge, die man nicht sieht, waren für mich immer schwer durchschaubar“, formuliert Konrad Zuse ein elektronisch bedingtes Paradoxon. „Eben darum war er auch nie Radiobastler gewesen, sondern konstruierte zwischen 1936 und '38 das erste mechanische Speicherwerk, nachdem er beschloß, Computererfinder zu werden.“ Und er wurde es ohne das Paradoxon zu erklären, daß es diesen Begriff noch gar nicht gab.

Z1 heißt dieses, aus dynamisch-menschlichem Phlegma entstandene erste Gerät. Konrad Zuse, ein diplomierter Bauingenieur, Fachkompentenz Statik, träumte von der automatischen Ausführung sich immer wiederholender Rechenoperationen und erinnerte sich an das Leibnizsche duale Zahlensystem. Also belegte er das elterliche Wohnzimmer in der Kreuzberger Methfesselstraße und verwandelte das Dualsystem in Blechmonaden, die zu Schaltgliedern zusammengesetzt wurden. Ein Helfer Zuses erinnert sich: „Meistens brauchte man mehrere Exemplare des gleichen Relais. Kuno zeichnete die Formen exakt auf Papier. Ich klebte das Papier auf ein Sperrholzbrettchen, befestigte zwischen diesem und einem zweiten Brettchen, das unten lag, die Anzahl der nötigen Bleche, schraubte die zwei Brettchen mit Gewindeschrauben zusammen und sägte mit einer kleinen, elektrischen Laubsäge die Form der Relais aus. Diese Relais fertigte ich zu Tausenden...war die Maschine einmal fertig, arbeitete sie unter heillosem Gerassel und gab die exakte Lösung für komplizierte Aufgaben. Sie nahm fast das ganze Wohnzimmer ein.“

Aus diesem war das Gerät wegen seines Umfangs und Gewichts nicht mehr zu entfernen. Den Abtransport übernahm später eine luftkriegsbedingte Fliegerbombe, was die millionenfache Vermehrung der Z1 nicht hinderte. Mit der Aufteilung in Speicher- und Rechenwerk, der freien Programmierbarkeit (über selbstgefertigte Lochstreifen aus alten Kinofilmen) sowie der binären Darstellung und Verarbeitung von Daten wurde Z1 die Urmutter aller modernen Computer.

Nichts liegt nun näher, als diese Keimzelle in eine Stadt mit High-Tech-Führungsanspruch zu re-implantieren - quasi als nachgeschobene Grundsteinlegung für luftige Traumgebäude. Also gründete die Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung (GMD), die überwiegend vom Bundesministerium für Forschung und Technologie (BMFT) finanziert wird, zusammen mit Siemens, AEG, Krupp Atlas, Nixdorf und DATEV 1987 das Kuratorium „Z1 - Nachbau“.

Der heute 79jährige Zuse beginnt die gesamte Anlage der Z1 neu zu entwerfen, da die alten Konstruktionspläne nicht mehr existieren. Statt des ursprünglichen Weißblechs wird Chrom -Vanadium-Stahl verwendet, der mit moderner Entwurfs- und Fertigungstechnik und unter Mithilfe eines Maschinenbaustudenten und einer -studentin von Zuse zur neuen alten Z1 zusammengebaut wird. Trotz modernster technischer Hilfsmittel benötigt der Nachbau ebenso viel Zeit wie das Originalmodell vor mehr als fünfzig Jahren, denn, so Zuse, „die schwierigste Aufgabe, das Zusammenspiel aller Teile, bereitet heute noch die gleichen Kopfschmerzen wie damals.“ Um die Ecke rechnen ist schwer.

Die mehr als eine Tonne wiegende, 800.000 Mark teure Neukonstruktion wurde in einem Festakt am 14.September durch Konrad Zuse und den Kuratoriumsrepräsentanten dem Museum für Verkehr und Technik übergeben und in Betrieb gesetzt. Das schick designte „Produkt deutscher Handwerks- und Ingenieurkunst“ - der Übersichtlichkeit halber mehr in die Horizontale konstruiert als das Original - erinnert mit seinen übereinandergeschichteten Stahlplatten an das Architekturmodell einer mehrgebäudigen Parkhausanlage und arbeitet mit den Geräuschen, der Präzision und dem Resultat einer großen mechanischen Uhr: Alles dreht sich, alles bewegt sich und am Ende kommt nichts dabei heraus. Der Computer arbeitet nur im Testprogramm, wartet mit keinem Rechenergebnis auf.

Ein Umstand, der die Festrednerfreude ob des musealen Spielzeugs nicht schmälern kann. Für Barbara Riedmüller, Senatorin für Wissenschaft und Forschung, ist es vielmehr ein „Anlaß zu Freude, Dankbarkeit und Nachdenken“. Und in bester sozialdemokratischer Tradition führt sie „das Nachdenken“ als bloße Attitüde, ungetrübt von jeglichem historischen Begreifen vor. Die Art, wie sie aus ihrem Manuskript die allzeit bereiten Versatzstücke „Berlin als Technologiezentrum...Konrad-Zuse-Zentrum für Informationstechnik Berlin...bedeutende Forschungsresultate... der Mensch und seine Erfindungen“ herunterhaspelt, legt die Vermutung intriganter Rathausbürokratie nahe: Ghostwriter aus der 3.Reihe des alten CDU/FDP-Senats haben Konjunktur.

Man war entschlossen, sich den Feierkonsens durch nichts stören zu lassen. Und also war die Z1 nicht nur der erste, sondern auch ein durchweg freundlich-friedlicher Computer. Die „Entwicklung des Z1 fand auf ausschließlich ziviler und privater Basis statt“, lautet die beschwörende Formel, die kurzatmig und kurzsichtig die Vergangenheit bannen sollte. Und nicht nur die.

„Es waren vor allem die US-Streitkräfte, die während des Zweiten Weltkriegs einen immens hohen Technologiebedarf hatten“, konstatiert der Ministerialdirektor des Bundesministeriums für Forschung und Technologie in seiner Laudatio auf Zuse und Z1. Der Erfinder selbst hatte jedoch schon frühzeitig die Bedeutung des Computers für den nazideutschen Blitzkrieg erkannt. 1939, die Weiterentwicklung der Z1 zur Z2 stand kurz vor ihrem Abschluß, versuchte er die Freistellung vom direkten Kriegsdienst durch ein Gutachten zu erreichen, welches die Z2 als „eine große wissenschaftliche Rechenmaschine, die auch im Flugzeugbau verwendet werden könne“, einstuft. Allein die Diskrepanz zwischen erfinderischem Weitblick und militärischer Borniertheit verzögert die Indienstnahme des Militärgeräts um zwei Jahre. Der Bataillonskommandeur entschied: „Was heißt hier, Ihre Maschine kann im Flugzeugbau verwendet werden? Die deutsche Luftwaffe ist tadellos, was braucht da noch berechnet zu werden?“ (Zuse, 1984)

Doch Zuse gab nicht auf, sondern verlagerte die Ebene der Ansprache: „Das Chiffrierwesen erschien mir als ein möglicher Ausweg, und tatsächlich konnte ich eine Verbindung zu Dr. Liebknecht im Heereswaffenamt herstellen, der damals für das Chiffrierwesen zuständig war. Ich fertigte einen Entwurf für ein Verschlüsselungsgerät, und die Reaktion war zunächst durchaus positiv. Bald aber gab man mir zu verstehen, daß man bereits über gute Geräte dieser Art verfüge. Gemeint war die Enigma, die man damals für absolut sicher hielt.“

So sicher, daß die deutsche Wehrmacht bis zum Kriegsende an eine Dechiffrierung von 150 738 274 937 250 möglichen Arten, zehn Letternpaare elektrisch zu verschalten, nicht glauben mochte. Allein auch hier galt der erste technologische Grundsatz: Chiffriermaschinen produzieren Dechiffriermaschinen. Während Zuses Z3 ab 1941 nur „kritische Flatterfrequenzen“ an Görings Luftwaffenflügeln kalkulieren durfte, rechnete in Bletchley Park (England) ein 1.500 Röhren-Computer mit dem bezeichnenden Namen COLOSSUS im geheimen deutsche Geheimnachrichten matt. Krieg der Maschinen.

Zuses aus der 2.Ausgabe seiner Autobiografie gestrichener Satz: „Im Krieg selbst gab es eine Fülle von Steuerproblemen, bei denen Computer hätten gute Hilfestellung leisten können“, reflektiert diesen Maschinenkrieg eher selbstbescheiden. Und so zeigt sich das binäre „Verantwortungsbewußtsein des Erfinders“. Während er 1944 in seiner offiziell als „kriegsentscheidend“ eingestuften Zuse KG russische Zwangsarbeiterinnen beschäftigte, während er die erste Prozeßsteuerung per Computer an der optimalen Einstellung des Leitwerks ferngesteuert fliegender Bomben praktizierte, während er sich um die Realisierung eines 2.000 Röhrenrechners bemühte (die ihm wegen mangelnder Dringlichkeit jedoch nicht genehmigt wird) - während all dieser „kriegsbedingten“ Anwendungen des an sich doch friedlichen Geräts erkennt Zuse bereits die Möglichkeit des entfesselten Computers: „Ende 1944 waren die Schaltungen für die Z4 praktisch ausgearbeitet. Die wichtigsten Teile des Geräts konnten wir noch kurz vor Kriegsende funktionsfähig fertig stellen. Ich mußte mich allerdings darauf beschränken, den logischen Aufbau der Maschine nur für Lösungen numerischer Rechenoperationen nach einem starren Programm auszuführen. Das erfordert viel Disziplin, denn die theoretischen Untersuchungen verleiten sehr dazu, die Möglichkeiten der Maschine zu erweitern. Da Programme genauso wie Zahlen aus Folgen von Bits aufgebaut sind, lag es nahe, auch die Programme zu speichern. Damit hätte man bedingte Sprünge, wie wir heute sagen, ausführen und Adressen umrechnen können. Es gibt dafür verschiedene schaltungsmäßige Lösungen. Ihnen allen liegt ein gemeinsamer Gedanke zugrunde: die Rückwirkung des Ergebnisses der Rechnung auf den Ablauf und die Gestaltung des Programmes selbst. Symbolisch kann man das durch einen einzigen Draht darstellen. Ich hatte, offen gesagt, eine Scheu davor, diesen Schritt zu vollziehen. Solange dieser Draht nicht gelegt ist, sind die Computer in ihren Möglichkeiten und Auswirkungen gut zu übersehen und zu beherrschen. Ist aber der freie Programmablauf erst einmal möglich, ist es schwer, die Grenze zu erkennen, an der man sagen könnte: bis hierher und nicht weiter.“

Andere haben dann diesen Draht gelegt. Intelligente Missiles, Krieg der Sterne, sich selbst produzierende Informationsmaschinen... Die Rückkopplungsschleifen ersticken mittlerweile die viel zu klein gewordenen SuperMegaMega-Maschinen und müssen von Decodern zerschnitten werden. Weil das, was jetzt im Museum für Verkehr und Technik steht, 1938 so ungemein gut rasselte, ratterte, klopfte. Wie sagte doch der äußerst vitale Erfinder in genial doppeldeutiger Subjekt-Objekt-Drehung zum Festtagspublikum: „Wir haben det Ding jedreht“ - was uns gedreht hat.

A. Modern

Literatur: Konrad Zuse, Der Computer. Mein Lebenswerk. Berlin, Heidelberg, New York, Tokyo, 1984. Die vergriffene 1.Ausgabe kann in der Bibliothek des Fachbereichs Informatik an der TU Berlin ausgeliehen werden.

Museum für Verkehr und Technik, Trebbiner Straße9, 1/61. Di bis Fr: 9 bis 18Uhr, Sa und So: 10 bis 18Uhr.