Teilrepublik Slowenien auf Souveränitätskurs

Geplante Verfassungsänderungen entzweien den Bund der Kommunisten in Jugoslawien / Bundes-ZK verlangt vergeblich Vertagung der Parlamentsdebatte in Slowenien / Streit wirft Fragen nach dem Entstehen der Föderation und den Grenzen der Teilrepubliken auf  ■  Von Christian Semmler

Berlin (taz) - Die Verfassungsänderungen, die das slowenische Parlament gestern beschließen wollte, haben eine weitere Krise der jugoslawischen Föderation heraufbeschworen und den Bund der Kommunisten an den Rand der Spaltung gebracht. Mit 97 zu 40 Stimmen verurteilte die von Serbien geführte Mehrheit des Bundes-ZKs den „slowenischen Seperatismus“ und forderte - vergeblich - eine Vertagung der Beratungen im slowenischen Parlament.

Der Streit entzündete sich am Problem der Souveränität der jugoslawischen Republiken. Im slowenischen Entwurf heißt es, Slowenien sei aufgrund seines unteilbaren und unveräußerlichen Rechts auf Selbstbestimmung Mitglied der jugoslawischen Föderation. Dies schließe, so der führende slowenische Verfassungsjurist Kristan, den Beitritt zur Föderation ebenso ein wie den Austritt. Die entsprechende Souveränitätsformel in der Bundesverfassung ist in der Vergangenheitsform gehalten, woraus folgt, daß die Teilrepubliken durch den Beitritt zur Föderation ihre unumschränkte Souveränität „verbraucht“ haben.

Der Streit über den Souveränitätsbegriff umfaßt auch die Frage, wer berechtigt ist, den Ausnahmezustand zu verhängen. Die Slowenen sind der Meinung, dies könne nur mit ihrer Zustimmung geschehen. Hinter diesen Auseinandersetzungen verbirgt sich das Problem, ob die Föderation nach 1945 überhaupt durch einen demokratischen Willensentscheid ihrer Völker entstanden ist, oder ob dieser Prozeß jetzt „nachgeholt“ werden muß. Fatalerweise würde dieses „Nachholen“ auch eine Auseinandersetzung über die Grenzen der Teilrepubliken einschließen, was besonders von den serbischen Nationalisten betont wird. Historisch waren die Slowenen entschlossene Vertreter eines südslawischen Bundesstaates; heute aber beginnen sich Züge einer kulturellen und politischen Entfremdung zu Serbien und den südlichen Republiken Jugoslawiens bemerkbar zu machen. Der Lebensstandard in Slowenien ist unvergleichlich höher als in Serbien und den südlichen Republiken, und die Transferzahlungen in die schlecht und korrupt verwalteten Zentren des Südens verbittern die Steuerzahler. Die Nähe zu Italien, Ungarn und Österreich bestimmt das intellektuelle Klima. Entgegen der serbischen Propaganda gibt es kaum eine Los-von-Belgrad-Irredenta, wohl aber die Haltung, sich für die Zukunft von einer Anlehnung an die supranationalen Zusammenschlüsse Westeuropas mehr zu versprechen, als von der Jugo-Föderation.

Slovenien war in den letzten Jahren immer Zentrum und auch Zufluchtsort für unabhängige Gruppierungen aller Couleur. Nirgendwo verband sich die Forderung nach Selbstbestimmungsrecht so eng mit dem Kampf um demokratische Rechte. Jetzt aber zeigt sich auch hier Chauvinismus. Während den nicht sehr zahlreichen Italienern und Ungarn Minderheitenrechte gewährt werden, betrachtet man die große Gruppe der Bosniaken und Albaner nur als „Gäste“. Viele aus dem Süden gekommene Moslems ziehen es daher vor, sich ihres Namens (und ihrer kulturellen Tradition) möglichst schnell zu entledigen. In der slovenischen Öffentlichkeit, besonders in der Jugendzeitschrift 'Mladina‘, begegnen solche Tendenzen allerdings kontinuierlicher und scharfer Kritik.

In Ljubiana macht man sich auf eine sehr scharfe und langwierige Auseinandersetzung mit Belgrad gefaßt; mit einer militärischen Intervention rechnet allerdings kaum jemand. Der slovenische Parteichef Kucar kann, wenn er an seinem jetzigen entschlossenen Kurs festhält, auf sehr starken Rückhalt in der Bevölkerung rechnen. (Die Entscheidung über die slowenische Verfassungsänderung war bis Redaktionsschluß noch nicht getroffen.)