Reform der Sowjetkooperativen kommt voran

■ Gesetzesentwurf überstand erste Lesung im Obersten Sowjet - aber nur mit viel Kritik / „Trickdiebe und Geschaftlhuber“ im Parlament / Unzufriedenheit herrscht mit Kooperativen, die überhöhte Gewinne aus Handel mit knappen Gütern ziehen

Aus Moskau Barbara Kerneck

Auch er finde es nun wirklich nicht mehr in Ordnung, bemerkte Michail Sergejewitsch Gorbatschow mit dem zornigen väterlichen Beben in der Stimme, das er für solche Fälle bereithält, wenn ein Stückchen Seife plötzlich das Doppelte koste, bloß weil jemand auf die Idee gekommen sei, „ein Schmetterlingsbildchen oder so etwas darauf zu kleben“. Die Seife und ihr Mangel im Sowjetalltag sind schon zu einem Dauerbrenner im reformierten Obersten Sowjet geworden.

Am Dienstag allerdings überschlugen sich die Emotionen bei den Deputierten, als es ums „Einseifen“ und „Schmieren“ im übertragenen Sinne ging. Auf der Tagesordnung stand nämlich die Regierungsvorlage zur „Änderung und Vervollständigung des Gesetzes über die Kooperativen in der UdSSR“. Verabschiedet wurde es schließlich in erster Lesung, muß aber noch einmal in die Ausschüsse.

Nach anfänglichen Hoffnungen hat die Tätigkeit der Kooperativen in den knapp zwei Jahren, Die sie nun schon nach dem Gesetz existieren, viele Sowjetbürger enttäuscht und erbost - eine Stimmung, der das Parlament nun Rechnung trug. L.I.Abalkin, der in seiner Doppeleigenschaft als stellvertretender Ministerpräsident und Wirtschaftsexperte den Gesetzesentwurf vorstellte, drückte es vornehm aus: „Es ist offensichtlich, daß es bisher zwischen den beiden Sektoren der sozialistischen Wirtschaft nicht zu einem Wettbewerb, einer Konkurrenz zum Nutzen des Menschen gekommen ist.“

Wie das Beispiel mit der Seife lehrt, hat sich statt dessen vielerorts die Praxis eingebürgert, daß Kooperativen staatliche Rohstoffe oder Produkte auf dem Schwarzen Markt erwerben und sie weiterverarbeitet oder auch nur verfeinert gegen noch höhere Preise auf den Markt bringen. Auch auf dem Dienstleistungssektor haben sich die Kooperativen inzwischen unbeliebt gemacht: „Ein Taxifahrer aus einer Moskauer Kooperative hat von mir 15 Rubel für eine Strecke verlangt, die normal höchstens drei gekostet hätte“, beklagte sich der Abgeordnete Safarow. Zwischenrufe wie „Trickdiebe!“, „Hochstapler“ und „Geschaftlhuber“ garnierten die Sitzung und verleiteten die Nachrichtenagentur 'TASS‘ zu der Überschrift „Stürmische erste Lesung“, in ihrer Art eine Neuheit auf den Titelseiten der Moskauer Zeitungen.

Debattenredner Korschunow schlug vor, künftig keinerlei Kooperativen mehr zuzulassen, die „nichts direkt herstellen und somit nur den Staat bestehlen, das heißt also: das Volk“. Er war es auch, der die Frage stellte, warum die Gewerkschaften nicht bei der Gesetzesänderung beratend hinzugezogen worden seien. Albalkin antwortete mit einem deutlichen Seitenhieb, daß der sowjetische Gewerkschaftsbund als „gesellschaftliche Organisation“ nach der neuen sowjetischen Verfassung ja das Recht habe, jederzeit selbst mit Gesetzesinitiativen aktiv zu werden, diese Gelegenheit aber offensichtlich versäumt habe.

Korschunow machte schließlich einen der konstruktiven Vorschläge: ein einheitliches Betriebsverfassungsgesetz für staatliche und kooperative Unternehmen. Damit will er verhindern, daß hochqualifizierte Spezialisten wie aus dem Taschkenter Flugzeugwerk, in dem er arbeitet, mit fliegenden Fahnen zu den Kooperativen überlaufen. Von einem „Krebsgeschwür, das Spekulanten und Schieber anzieht“, sprach ein weiterer Redner und beantragte, darüber abzustimmen, ob nicht alle Kooperativen, die sich nur als Handels- oder Vermittlungsagentur betätigten, sofort geschlossen werden sollten. Der Vorschlag hätte fast eine Stimmenmehrheit bekommen.

Immerhin fanden sich außer Abalkin noch genug Abgordnete, die zur Mäßigung mahnten und dazu aufriefen, nicht leichtfertig auf die Chance zu verzichten, den Markt mit Hilfe kooperativer Betriebe vielfältiger zu machen und das staatliche Monopol zu lockern. Man müsse doch erst einmal untersuchen, wie die Existenzbedingungen dieser Betriebe aussähen und was überhaupt zu der gegenwärtigen Fehlentwicklung geführt habe. Jetzt könne ja direkt der Verdacht entstehen, meinten einige Abgeordnete leicht ironisch, daß die Kooperativen dem Staat als Sündenbock gerade recht kämen, weil sie seine eigene Hilflosigkeit gegenüber dem Wirtschaftschaos in milderem Licht erscheinen ließen.

Einer der Vermittlungsvorschläge sieht vor, die Kontrolle der örtlichen Sowjets über die Tätigkeit der Kooperativen zu straffen und gesetzlich zu regeln. Auch diese Lösung ist allerdings nicht unbedenklich. Mancherorts machen unternehmungslustige „Kooperativschnickis“ geltend, gerade die Initiative derer, die bereit sind, neue Konsumgüter von der Pike auf zu produzieren, werde durch die bereits bestehende Gängelung der Kooperativen durch Behörden und allzuviele gesetzliche Vorschriften gelähmt.

Mit 370 zu 69 Stimmen wurde der Entwurf schließlich doch „im Prinzip“ gebilligt, allerdings mit weitgehenden Überarbeitungsauflagen noch einmal in die Ausschüsse verwiesen. Dies, so hatten die Deputierten in der Eröffnungssitzung am Montag bereits beschlossen, soll im sowjetischen Parlament zur Routine werden: um einen zweiten Durchgang kommt künftig keine Gesetzesvorlage mehr herum.