Grüne und KPdSU im heftigen Clinch

■ Der Streit ums Atom führte bei der Moskau-Reise beinahe zum Abbruch der Gespräche / Missionarischer Eifer der Gäste prallte auf unbelehrbare Atom-Propagandisten / Kontakte sollen dennoch fortgeführt werden: Jetzt ist ein gemeinsames Buch geplant

Moskau (taz) - Eine Woche lang stritt sich eine bundesdeutsche Delegation von Grünen und Bürgerinitiativen mit hochrangigen sowjetischen Wissenschaftlern und Vertretern der KPdSU über die Atomenergie. Doch die Sowjets erwiesen sich als resistent gegen alle Bekehrungsversuche. Nach heftigen Debatten stand die bundesdeutsche Delegation kurz vor dem Abbruch der Gespräche, der gerade noch verhindert wurde.

Lew Konstantinow, Direktor des sowjetischen Instituts für Energietechnik, drückte sich am klarsten aus: „Ihrer Bewegung mag es gelingen, diesen Fortschritt aufzuhalten, aber bei uns wird es weiterhin Atomenergie geben.“ Mit solcherart „unbelehrbaren und unreflektierten Positionen“, so die Kritik der Gäste, hatte es die 24köpfige Delegation mehrfach zu tun. Wie schon beim ersten Treffen Anfang Januar in der Bundesrepublik verzeichneten beide Seiten nach scharf geführten Debatten „keine Annäherung in der Sache“. An der von Wissenschaftlern und BI-Vertretern angereicherten Gruppe war von seiten der Grünen unter anderem Vorstandssprecher Ralf Fücks, Jutta Ditfurth und die Bundestagsabgeordnete Lilo Wollny beteiligt. Auf sowjetischer Seite präsidierte wieder Gorbatschows Umweltberater Iwan Frolow. Wortführer der Sowjets war indes der 80jährige Universalgelehrte und Vizepräsident der Akademie der Wissenschaften, Janshin. „Der kann ganze Lehrbücher aus den 20er Jahren auswendig und weiß zu allem und jedem was“, beschreibt ein Teilnehmer den „starrsinnigen alten Herrn“.

Die UdSSR, so der Tenor im Moskauer Hotel „Rossija“, setzt auch zukünftig auf einen „harten“ Energiekurs. Der zur Zeit diskutierte Energieplan sieht bis zum Jahr 2030 eine Verdoppelung der Kohle- und Erdgasförderung und einen Zubau von mindestens 100 weiteren Atomkraftwerken vor. Grüne und Öko-Wissenschaftler hielten dagegen und zogen Ausstiegspläne auch für die Sowjetunion aus ihrem Reisegepäck. Sie verlangten ein radikales Umdenken in der Energiepolitik: Einsparen, Dezentralisieren und den verstärkten Einsatz alternativer Energieträger. Gemeinsam war den Positionen von Gästen und Gastgebern nur noch der Tisch, an dem sie vorgetragen wurden.

Auch die Diskussionen über Einzelfragen verliefen „kontrovers“. Ob in der Bewertung des Tschernobyl-Unfalls und radioaktiver Niedrigstrahlung oder beim Hochtemperaturreaktor, den die Sowjetunion aus der Bundesrepublik importieren will, immer klafften die Meinungen weit auseinander. Und wo die bundesdeutsche Delegation bei Atomreaktoren und Atomwaffen siamesische Zwillinge sah, sahen die Sowjets gar nichts.

Kurz vor dem Abbruch stand das Seminar dann beim Thema Urananreicherung. Den Vorwurf von Anti-Apartheid-Gruppen, daß die Sowjetunion in der namibischen Rössing-Mine abgebautes Uran völkerrechtswidrig für westliche AKW -Betreiber anreichert, hatten die Grünen mit schriftlichen Dokumenten erhärtet. Als die Sowjets, von den Gästen an den Pranger gestellt, zunächst eine Antwort auf die Vorwürfe verweigerten, kam es zum Eklat. Die bundesdeutsche Delegation verließ den Konferenztisch und einigte sich nur mit knapper Mehrheit, die Konferenz fortzusetzen.

Gerettet wurde die Moskau-Reise durch die Kontakte mit sowjetischen Wissenschaftlern, die nicht der Delegation der Gastgeber angehörten, und mit Vertretern der Ökologie -Bewegung. Im Windschatten der Perestroika sind in den letzten Jahren zahlreiche Initiativen und Bürgerkomitees entstanden. Mit der sozialökologischen Union, die bereits in den meisten Großstädten der Sowjetunion aktiv ist, schlossen die Grünen ein Abkommen über zukünftige Zusammenarbeit. Gespräche fanden auch mit Prof. Lemeshew, einem der Väter der sowjetischen Anti-AKW-Bewegung, statt. Zwölf Atomkraftwerke seien bisher durch die Arbeit von Bürgerkomitees aus den Planungen gestrichen oder stillgelegt worden, bilanzierte Lemeshew.

Trotz der verhärteten Fronten bei den offiziellen Gesprächen soll die Zusammenarbeit zwischen Grünen und KPdSU weitergehen. Nächstes Projekt: ein gemeinsames Buch über die beiden Treffen.

Reimar Paul/-man