Räumen, durchsuchen, Beschlagnahme oder was?

■ BesetzerInnen der Ohlauer Straße29 verließen Kreuzberger SPD-Büro / Wer hier was räumt, will die AL im nächsten Koalitionsausschuß zur Sprache bringen / Beschlagnahmeversuche in Wedding und Charlottenburg kommen nur langsam voran

Das Wort „Räumung“ hört er nicht gern. Werner Thronicker, Pressesprecher des Innensenators bezeichnet die Polizeiaktion am Mittwoch morgen in der Ohlauer Straße29 weiterhin als „Durchsuchung„; geräumt wurde nicht, weil gar keiner mehr im Haus gewesen sei. Man habe von vorneherein nicht daran gedacht, „von der 'Berliner Linie‘ abzuweichen“. Die Frist von 24 Stunden sei ohnehin schon überstrapaziert gewesen. Verhandlungen, zum Beispiel zwischen Bezirksamt und BesetzerInnen, können nach Auffassung der Innenverwaltung nur das Ziel haben, „daß die Leute das Haus freiwillig verlassen“. Daß die Kreuzberger Baustadträtin Franziska Eichstädt (AL-nah) stattdessen mit den BesetzerInnen über deren Verbleib im Haus des stadtbekannten Spekulanten Pohly verhandelt hatte, ist nach Thronickers Ansicht „nicht Sache von Frau Eichstädt“.

Über die Definition der „Berliner Linie“ gibt es allerdings unterschiedliche Auffassungen. Voraussetzung für eine Räumung sei, daß an dem Haus bauliche Maßnahmen vorgenommen würden, sagte Uli Lautenschläger vom „Verein SO36“. Die begonnene Sanierung in der Ohlauer Straße29 wurde Ende 1988 eingestellt. Das Kreuzberger SPD-Büro, daß die BesetzerInnen solange besetzt halten wollten, bis eine Lösung gefunden sei, war Mittwoch abend wieder verlassen. Zurück blieben bemalte Wände und das Bekenntnis der Kreuzberger SPD, gegen Leerstand müsse mehr unternommen werden.

Viel mehr, als die Räumung „mit Empörung“ zur Kenntnis zu nehmen, blieb Mittwoch abend auch dem Delegiertenrat der AL nicht übrig. Der AL-Abgeordneten Michael Haberkorn vermutete „Räumungs-Automatismus auf Seiten der SPD“. Der soll nun auf einem der nächsten Koalitionsausschüsse zur Sprache kommen. Für die AL gilt weiterhin, daß bei jeder Besetzung das Gespräch zwecks Einzelfall-Lösung zu suchen ist. Im Fall der Ohlauer Straße forderte der Delegiertenrat das Bezirksamt Kreuzberg auf, das seit 1984 entmietete Haus zu beschlagnahmen und den wohnungslosen BesetzerInnen wieder zuzuweisen. Die Begründung der Kreuzberger Sozialstadträtin Junge-Reyer, sie könne das Haus nicht beschlagnahmen, solange Zweifel an der Bewohnbarkeit der Räume bestünden, hielt Haberkorn für „schwachsinnig - vor allem wenn man sieht, daß mittlerweile ein Zimmer mit acht Leuten belegt wird.“

Für den Verein SO36 ist klar, daß ein Großteil der Wohnungen bewohnbar ist. Es werde nun geprüft, ob das Haus nicht doch beschlagnahmt werden könne, sagte Lautenschläger. Die BesetzerInnen haben allerdings nur eine Chance, wenn sie beim Sozialamt als wohnungslos gemeldet sind.

Während die „Berliner Linie“ in ihrer restriktiven Version umstandslos durchgezogen wird, findet die „Steglitzer Linie“ der Beschlagnahme leerstehender Wohnungen weit weniger beherzte Anhänger. Das Neuköllner Bezirksamt hat inzwischen angekündigt, vorerst keine Wohnungen zu beschlagnahmen. In diesem Bezirk stehen 1.075 Wohnungen leer, 384 davon ohne Genehmigung.

In den Bezirken Charlottenburg, Kreuzberg und Wedding, die sich nach dem Steglitzer Vorstoß ebenfalls leerstehende Wohnungen zwecks Beschlagnahme unter die Lupe nehmen wollten, geht das Geschäft nur mühsam voran. Weddings Sozialstadtrat Hans Nisble (SPD) hatte Mitte September die Überprüfung von rund 250 Wohnungen angekündigt, die für eine Beschlagnahme in Frage kämen. „In dieser Woche wird's wohl nichts mehr“, war gestern aus dem Weddinger Bezirksamt zu erfahren. In Charlottenburg stehen etwa 100 Wohnungen auf der Liste, einige habe man nun für eine mögliche Beschlagnahme aussortiert, um sie sich vor Ort anzusehen, erklärte der zuständige Mitarbeiter im Bezirksamt, Mielke. Problematisch ist nach Ansicht Mielkes, daß eine Beschlagnahme aus Gründen der Verhältnismäßigkeit nur für die Dauer von sechs Monaten gestattet ist - was auch den kurzfristigen NutznießerInnen nicht bewußt sein dürfte. „Die werden sich fürchterlich bedanken, daß man ihnen eine Wohnung verschafft hat, und dann muß man ihnen erklären, daß das nur für ein paar Monate läuft.“

anb