Psychologie- Zeitschriften

■ Querbeet gelesen: Integrative Therapie / Psyche / Psychologie und Gesellschaftskritik / Sozialpsychiatrische Informationen / Texte, Österreich

Zum 50. Todestag des Psychoanalyse-Urvaters tritt die 'Psyche‘ in gewohnter Art eher leise auf, zum Beispiel wenn Ilse Grubrich-Simitis im September den ersten Teil ihres Beitrags Zur Geschichte der deutschsprachigen Freud -Ausgaben publiziert, einer, wie sie selbst sagt, eher spröden Materie, der sie jedoch durchaus Leben einzuhauchen versteht. Grubrich-Simitis blickt selbst auf eine fast 30jährige Erfahrung als Freud-Editorin zurück; somit hat sie die bisher letzte, von ihr als dritte Phase dieses Prozesses bezeichnete Periode entscheidend mitbestimmt, über die dann in der Oktober-'Psyche‘ berichtet wird. Sigmund Freuds 50.Todestag erscheint ihr als ein würdiges Datum, nicht nur, um die Geschichte der deutschsprachigen Freud-Ausgaben zu rekonstruieren, sondern auch, um Gründe zu dokumentieren, die das Entstehen einer (ganz neuen) kritischen Freud -Gesamtausgabe in der Originalsprache bisher verhindert haben.

Weder könne man die Gesammelten Schriften, die in den Jahren 1924 bis 1934 von Anna Freud und wechselnden (Mit -)Herausgebern editiert wurde (Storfer, Rank, Wälder), als eine kritische Ausgabe bezeichnen noch die Gesammelten Werke, die in den Jahren 1940 bis 1952 herausgebracht wurden. Unter editionswissenschaftlichen Gesichtspunkten seien sie kaum mehr als eine Leseausgabe.

Der Aufsatz beginnt mit dem Nachzeichnen der ersten Periode - Wien: von den Anfängen bis 1938. Freud, der Bibliophile, erscheint uns als Bücherwurm, der als achtzehnjähriger Student Bücher als seine „Lieblingsspeise“ bezeichnet (am Rande sei vermerkt, daß neben vielen anderen Peter Brückner sich 1975 im Verlag Neue Kritik Gedanken zu Sigmund Freuds Privatlektüre machte), aber auch als wachsamer Autor, die Geschicke seiner Bücher im Auge behaltend, ferner als „umsichtig planender Verleger“, ja sozusagen als Publikationspolitiker.

Daß er das Erscheinen der Gesammelten Schriften noch miterlebte, war - wie Grubrich-Simitis belegt - damals nicht eben eine Selbstverständlichkeit, in einer Zeit am Rande der „Hitlerei“, wie Freud 1932 an Jones schreibt, schwer vom Gaumenkrebs gezeichnet.

Am Ende der zweiten Periode - London: von 1938 bis 1960 liegen dann die Gesammelten Werke vor, die im deutschen Originalwortlaut in London neu herausgebrachten, „im Naziterror untergegangenen Gesammelten Schriften, (...) was die Ausstattung betrifft, gewiß eher dürftig, doch angesichts der Kriegs- und Nachkriegsumstände - Knappheit von Papier sowie Druck und Bindematerialien, Kostensteigerungen, Geldnot, Mitarbeiterwechsel usw. - trotz aller Mängel ein erstaunenswertes Rettungswerk“.

Übrigens: Zur fast metaphysisch benannten Gedenkdokumentation Die Entdeckung des siebten Kontinents, die ein paar Tage vor dem 23.September in der ARD und einen Tag später in Eins Plus mit sich anschließender Diskussion ausgestrahlt wurde, assoziiere ich die Aussage eines frühen Freud-Herausgebers. James Strachey stellte vor Jahren ironisierend fest, daß es schon ein „journalistisches Klischee“ geworden sei, von Freud als einem der revolutionären Begründer des modernen Denkens zu sprechen. Und er fährt fort: “ (...) und seinen Namen mit dem Einsteins zu verbinden. Es würde aber wohl den meisten Menschen fast gleich schwer fallen, die Veränderungen, die von jedem dieser beiden Männer in Gang gesetzt worden sind, in kurzen Worten zusammenzufassen.“ Ein Fazit der Diskussion, die sich unter der Überschrift „Krisenbewältigung durch Tiefenanalyse“ anschloß, wenn auch nicht unbedingt Konsens unter den DiskutantInnen, war, daß Psychoanalysierte eher widerständiges Potential in ihren Lebenswelten entwickeln werden. Vielleicht findet sich ein unverbesserlicher Positivist, der diese Hypothese in Initiativen einmal auf ihre Stichhaltigkeit abklopft.

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Das Verhältnis von Subjekt und Politik ist eines jener Themen, die in der 'Psychologie & Gesellschaftskritik‘ traditionell ein Forum finden. Heft 3/1989 ist nun als Einzelheft so benannt. Den HerausgeberInnen geht es nicht darum, daß eine „hier und anderswo geführte Grundsatzdiskussion neu aufgewärmt“ werde. Hingegen möchten sie Beiträge vorstellen, die unter diesen Begriffen Denken an konkreten Punkten in Bewegung setzen können, „auch gerade dort, wo es im Grundsätzlichen theoretisch-kritisch geklärt schien“.

Wenn schon die subjektorientierte Forschung - bezogen auf den gesamten Wissenschaftspool - durchaus unterbelichtet ist, so hat sich Bernhard Krenzer vom Psychologischen Institut der FU Berlin einen auch von dieser nicht allzu häufig beleuchteten Gegenstand zum Thema erwählt: Arbeitslosigkeit. Sein Ansatz verdankt den theoretischen Hintergrund der Kritischen Psychologie Holzkampscher Prägung, aus der noch vergleichsweise viel zu dieser Thematik hervorgegangen ist. Krenzer stellt sich eine von den betroffenen Menschen ausgehende Forschung vor, die danach fragt, wie die einzelne Frau, der einzelne Mann, mit Arbeitslosigkeit konfrontiert, diese wahrnimmt, welche Schwierigkeiten sie/er sieht, welche Handlungsweisen sie/er umsetzt, was sich dabei gefühlsmäßig tut etc. (Ich gebe zu, den Text entstellt zu haben, frau kommt in Krenzers subjektorientierter Perspektive nämlich nicht vor, obwohl sie ganz besonders von Arbeits- und Erwerbslosigkeit betroffen ist.) Die Gedanken des Autors, Kurzfassung wohl seiner Dissertation, können nur andeuten, wie in etwa die Weiterentwicklung dieser Forschungsrichtung aussehen könnte, und bleiben somit noch sehr im Allgemeinen.

Ein zweiter Beitrag sei hier kurz skizziert: Günter Rexilius‘ Politisch-psychologische Anmerkungen zur Lage der „Grünen“. Er schlägt keineswegs leise, sondern radikale Töne an, wenn er bei den Grünen einen Mangel beklagt an analytischer, politischer, parlamentarischer und praktischer Substanz. Letztere kumuliert für ihn in der Gewaltfrage: Diese Debatte entblöße „mit erschütternder Klarheit die Unfähigkeit der meisten an ihr Beteiligten, sich in die seelische Befindlichkeit eines von alltäglichen gesellschaftlichen Mechanismen ausgespuckten und verletzten Menschen einzufühlen, seine kafkaeske Wirklichkeit zu sehen“. Und als Nachschlag zum vorangehenden Krenzer -Beitrag: „Wundern wir uns nicht an den falschen Stellen: nicht darüber, daß ein Arbeitsloser die Frankfurter Oper anzündet, sondern darüber, daß nicht alle Arbeitslosen Opern in Brand stecken. Wer nimmt sonst von ihnen Notiz, hört ihnen zu?“

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Selten hat ein Zitat so ausdauernd über eine fast historische Zeitspanne von mehr als zwanzig Jahren Bestand wie jenes von Basaglia (1968): „Unser Gesellschaftssystem, das von einer Vollbeschäftigung (wieder) noch weit entfernt ist, kann nicht das geringste Interesse an der Rehabilitation des Geisteskranken haben, denn er könnte von einer Gesellschaft nicht rezipiert werden, in der das Problem des Arbeitsplatzes noch nicht einmal für ihre gesunden Mitglieder gelöst ist.“ Im übrigen war auch in der 1.800 Seiten starken Psychiatrie-Enquete von 1975 Menschen, die sie häufig herumschleppten, wissen auch, daß sie 3,5 Kilogramm auf die Waage brachte - berufliche Rehabilitation von psychisch Kranken eher ein Randthema. In den letzten Jahren jedoch ist der Bereich der Sozio- und Arbeitstherapie - es herrscht hier einiges an Begriffsverwirrung - sowie die Erkenntnis, daß Hinführung in Zwischenschritten zu beruflicher Rehabilitation sinnvoll sein mag, stärker in den Blick geraten.

In den 'Sozialpsychiatrischen Informationen‘ 2/1989 sind Beiträge extramuraler Arbeitstherapie zur Rehabilitation psychisch Kranker außerhalb der Klinik der Themenschwerpunkt. Ein Teil der Beiträge beschäftigt sich mit der Finanzierungsproblematik; bereits aufgrund der Trennung zwischen medizinischer und beruflicher Rehabilitation treten Konflikte auf; andere AutorInnen berichten eher parxisbezogen. Schließlich geben Gerhard Häberle und Peter Weber einen Einblick in jene Teile des Berichts der zuständigen Expertenkommission, die sich mit der Eingliederung seelisch Behinderter ins Berufsleben befassen.

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Aus dem Rahmen des Themenschwerpunktes Maßregelvollzug der 'Recht & Psychiatrie‘ 2/1989 tritt der Beitrag von Franca Ongaro-Basaglia als eine prägnante, dennoch umfassende Bewertung der italienischen Psychiatriereform hervor. Die Autorin, die zusammen mit ihrem verstorbenen Mann zu den InitiatorInnen der Reform gehört, die auch hierzulande eine Reihe von Leitlinien vorgab, sinniert über Ergebnisse des sogenannten Gesetzes 180 nach, dessen Ziel es war, „eine neue Optik, die mit der Kultur der Abtrennung und der Aussonderung brach, indem sie die Illusion, daß mit deren Hilfe Behandlung und Wiederherstellung möglich seien, wegfegt“, herzustellen. Aber auch in Italien haben sich nur punktuell beziehungsweise mit der Schaffung psychiatrischer Dienste Veränderungen ergeben, die aber keineswegs flächendeckend erfolgten (und wobei sich die Frage weiterhin stellt, ob nicht Knackpunkte von Psychiatrie(sierung), zum Beispiel die traditionelle Verknüpfung von Justiz und Medizin, die Stigmatisierung und Verwaltung der Betroffenen, sich nun ins ambulante Netz verschieben). Ongaro-Basaglia beschreibt den Prozeß einer „steckengebliebenen Durchführung“ der Reform als eine absichtliche Tatenlosigkeit; „dieses Desinteresse an den Lebensproblemen der Menschen, die Verantwortungslosigkeit eines großen Teils der örtlich Zuständigen waren es, die die Kranken in den Irrenhäusern, auf den Straßen, zu Hause und auf dem Rücken der Familien der immer wieder angeklagten Verwahrlosung anheimfallen ließen“. Mit der „Unabhängigen Linken“, der die Verfasserin angehört, hat sie inzwischen eine Gesetzesinitiative ergriffen, um die Reform fortzusetzen.

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Vor etwa einem Jahr fand in Zürich die erste Schweizerische Tagung für Integrative Bewegungstherapie statt. Ursula Genton hat hier ein Referat gehalten, das Möglichkeiten der „vom Leibe“ ausgehenden, auch ambulanten Therapie bei Drogenabhängigen aufzeigt. Obwohl die Referentin nicht zu jenen gehört, die sich auf ein eindeutiges Persönlichkeitsprofil des typischen Drogengebrauchers festlegen, sieht sie doch bei vielen von ihnen ein gestörtes Verhältnis zu ihrem Körper, indem sie sich nicht zu Hause fühlen, den sie mißachten, bis zur Selbstzerstörung mißbrauchen. Dennoch stellen Drogenabhängige unbewußt eine enge Verbindung zwischen Körper und Seele her - Linderung der seelischen Not wird ja durch die körperbezogene Handlung des Drogengebrauchs gesucht. Genau dies ist die Verbindung, an der integrative Bewegungstherapie ansetzt. Genton, die sich auf mehrjährige Erfahrungen mit Klientinnen und Klienten auch der Diagnosen „HIV-positiv“ und „Aids“ stützen kann, hält im übrigen - unter Berücksichtigung bestimmter Aspekte - integrative Bewegungstherapie auch bei MethadonpatientInnen für möglich. Ihr Referat ist abgedruckt in der 'Integrativen Therapie‘, 1/1989, dessen Beiträge sich um den Themenschwerpunkt Leib- und Bewegungstherapie zentrieren.

Das letzte Heft des Jahres 1988 der 'Integrativen Therapie‘ handelte von „Integrationsmodellen“. Neben anderen Aufsätzen war es jener von Michael R. Textor, durch den Interessierten verständlich wird, was „Integration“ in Zusammenhang mit Psychotherapie meinen kann, ist dies doch inzwischen ein in vielen Bereichen benutztes Schlagwort geworden. Der Autor deutet Möglichkeiten an, die gegenwärtig auch beschritten werden, um eine Konzeption „integrativer Psychotherapie“ zu verwirklichen: „Es ist allerdings offensichtlich, daß eine integrative Theorie nur von einer Gruppe von Psychotherapeuten und Wissenschaftlern entwickelt werden kann und eine nie abzuschließende Unternehmung sein wird. Hinzu kommt, daß aufgrund des schwachen wissenschaftlichen Fundaments von Therapieansätzen auch relevante Erkenntnisse der allgemeinen, Persönlichkeits- und Sozialpsychologie, der Biologie, der Medizin, Pädagogik und Soziologie eingearbeitet werden müßten.“

Knapp hundert Seiten der Basisideen eines Repräsentanten der „integrativen Therapie“ hier darlegen zu wollen muß dementsprechend scheitern. Nur hinzuweisen ist daher auf die beiden Teile des umfangreichen Aufsatzes von Hilarion Petzold, die in Heft 4/1988 sowie Heft 1/1989 abgedruckt sind. Im ersten Teil geht es vor allem um die anthropologischen und konzeptuellen Grundlagen, im zweiten um die therapeutischen Verfahrensweisen, die praxeologischen Grundkonzepte, hier dargestellt an Beispielen aus der integrativen Bewegungstherapie. Eine Antwort auf die Frage, was „integrative Therapie“ nun eigentlich sei, ist jedenfalls nicht in einer Einsatzdefinition unterzubringen. Mit anderen Worten: Des Integrierens hat es kein Ende, ebenso wie „Ganzheitlichkeit“, ein oft mißbrauchtes Wort und ein Anspruch, den die meisten Psychotherapieverfahren nach außen vertreten, hier als Ideal beziehungsweise utopischer Entwurf gesehen wird und dementsprechend den Verzicht beinhaltet, „das Ganze jemals zu erreichen“.

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'Texte‘ - so heißt eine Quartalszeitschrift für Psychoanalyse, Ästhetik und Kulturkritik, die vom Innsbrucker und vom Österreichischen Arbeitskreis für Psychoanalyse herausgegeben wird und deren wissenschaftlichem Beirat (kritisch) an der Psychoanalyse Orientierte aus den Ländern Österreich, Schweiz und Bundesrepublik Deutschland angehören.

Bernd Nitzschke, der uns zu Freuds Gedenktag deut(sch)liche Möglichkeiten des Erinnerns aufZEI(g)Te, schreibt in Heft 2/1989 der 'Texte‘ über Schopenhauer, Nietzsche, Freud Vernunftkritik als Aufklärung, Claudia von Werlhof über Männliche Natur und künstliches Geschlecht - Über Frauenforschung als „andere“ Wissenschaft, und Norman Elrod fragt, wie die Sichtweisen von Freud, Piaget, Wygotski und Loewald in ihren Gemeinsamkeiten und Unterschieden sich der Frage stellen: „Wie wird der Mensch ein Mensch?“ Elrod ist schon eine geraume Zeit auf den Spuren sowjetischer „akademischer“ Psychologen wie beispielsweise Luria und Wygotski und hat nachgewiesen, daß beide Sowjetpsychologen, die in den zwanziger Jahren maßgeblich die kulturhistorische Schule aufbauten, Mitglieder der Russischen Psychoanalytischen Vereinigung waren, entsprechend auch entscheidend beeinflußt durch psychoanalytisches Denken und dies, obwohl sie im Westen als Kritiker der Psychoanalyse galten. Elrod arbeitet in diesem Beitrag Berührungspunkte und Verschiedenheiten in den Sichtweisen von Freud, Piaget, Wygotski und Loewald heraus, menschliche Entwicklung zu verstehen, wobei das bis zu Mahler und auch weiterhin vertretene Konzept des „primären Narzißmus“ in Frage steht, denn den Säugling als ein „geschlossenes monadisches System“, das sich auf halluzinatorische Art und Weise befriedigt, zu sehen, sei aufgrund des gegenwärtigen Wissens über die Situation des Kindes in den ersten Wochen und Monaten nach der Geburt nicht mehr haltbar.

'Integrative Therapie‘, Junfermann-Verlag, Imadstraße 40, 4790 Paderborn, Einzelheft 12,50 DM

'Psyche‘, Postfach 809, 7000 Stuttgart 1, Einzelheft 12 DM

'Psychologie und Gesellschaftskritik‘, Bürgerbuschweg 47, 2900 Oldenburg, Einzelheft 11 DM

'Recht und Psychiatrie‘, Postfach 2145, 5300 Bonn 1, Einzelheft 10 DM

'Sozialpsychiatrische Informationen‘, Postfach 2145, 5300 Bonn 1, Einzelheft 10 DM

'Texte‘, Innsbrucker Arbeitskreis für Psychoanalyse, Colingasse 7, A-6020 Innsbruck, Einzelheft 20 DM