Vom hohen Roß herunter

Antwort auf David Singers Kritik am Beitrag über palästinensische Kinder in der TV-Serie von Gordian Troeller „Kinder der Welt“ / Von Uwe Grieger  ■ D E B A T T E

Sicherlich stellt der ARD-Film in der Serie Kinder der Welt am 18.September von Gordian Troeller eine Provokation dar. Eine Provokation deshalb, weil der Film aus gängigen Argumentationsmustern auszubrechen versucht, weil der Autor Klischeebilder des Staates Israel, wie sie in der Bundesrepublik gepflegt werden, in Frage stellt. Um was geht es? Es geht um die Intifada, um deren Ursachen. Vor allem aber geht es um die Reaktionen des Staates Israel auf diese Intifada, wobei der Autor zwar historische Ursachen für diesen Konflikt nicht außer acht läßt, aber die Auseinandersetzungen zwischen Palästinensern und Israelis vor allem aus der Betroffenheit palästinensischer Kinder darzustellen versucht.

Zweifellos ist diese Sichtweise eine journalistisch saubere Darstellungsform. David Singer hat in seinem Artikel in der taz vom 26.September allerdings diese Form journalistischer Berichterstattung kritisiert: „Von verletzten oder erschossenen israelischen Kindern sehen wir nichts. Es gibt sie genauso.“ Natürlich. Nur muß sich dann der Kritiker fragen lassen, ob er mit diesem Hinweis Kinderopfer in dieser Auseinandersetzung aufrechnen will. Genau dies muß David Singer vorgeworfen werden, da er sich noch nicht einmal die Mühe macht, sich in die Lage von palästinensischen Kindern hineinzuversetzen, die von Kugeln getroffen wurden. Hier manifestiert sich bei dem Kritiker des ARD-Films eine gerade auch in der Bundesrepublik der Nachkriegszeit oft und mit Recht konstatierte „Unfähigkeit zu trauern“.

Gott sei Dank weiß ich den Kritiker David Singer nicht in eine bestimmte Ecke zu stecken, wie dies Singer selbst mit dem Autor des Fernsehfilms tut, wenn er schreibt: „Autor Troeller versichert, er sei ja als Luxemburger unverdächtig und habe seinerseits gegen Hitler gekämpft.“ Aber was bezweckt David Singer mit dieser Aussage? Will er vielleicht den Luxemburger Journalisten auf den Boden der deutschen „Erfahrungen“ hinüberziehen, um damit schneller ein (Vor -)Urteil über ihn sprechen zu können? Für diese These spricht schon allein der Verweis auf die „Republikaner“ in der Bundesrepublik, in deren Nähe Autor Troeller gerückt werden soll: „Schuld sind: die Juden. Sind sie doch schon immer damit hausieren gegangen, sie seien etwas Beson deres. Republikaner-Geschwätz? Mitnichten.“

So wird auf dem Umweg über die „Republikaner“ der Fernsehautor Troeller nachträglich dem Deutschen Reich und seiner „Kollektivschuld“ einverleibt. Damit könnte eigentlich Schluß der Debatte sein. Doch an diesem Punkt beginnt sie der taz-Gastschreiber erst: vom hohen Roß herunter, auf das er sich mit Hilfe seines Ausflugs über die bundesdeutschen REPs selbst gesetzt hat.

Er attackiert nun an dem Film die These, daß der Anspruch, „Gottes auserwähltes Volk zu sein“, zur Ausgrenzung des jüdischen Volkes geführt habe. Weltweit. Zwar wird diese These in dieser Form und mit diesem Ausschließlichkeitscharakter in dem Film gar nicht vertreten; doch dies stört wenig. So heißt es sehr selbstgerecht dann auch: „Auserwähltes Volk? Gibt es eine Reli- und Region, die nicht Züge davon trägt?“

Auch an dieser Stelle wird einfach aufgerechnet. Ethnozentrismus oder Religionszentrismus als durchaus normales Phänomen in der Geschichte. Der Ratschlag, der hier gegeben wird, heißt schlicht und einfach: Zuerst sollen wir uns mit dem Rassismus der anderen beschäftigen. Und entlarvend selbstgerecht heißt es dann, die von Troeller kritisierte Religionsphilosophie sei so unmissionarisch wie kaum eine andere. Eigenkritik hat in diesem Argumentationsmuster natürlich keinen Platz. Der schwarze Peter wird unreflektiert weitergegeben. Und zwar mit einem Totschlag-„Argument“, wenn es denn heißt: „So wie Troeller haben es Goebbels und seine Vorgänger verkündet.“

Taz-Gastautor David Singer ist damit auf dem besten Weg, eigenen Rassismus zu rechtfertigen. So zum Beispiel, wenn er rechtfertigt, daß mit Beginn des Aufstandes in den von Israel besetzten Zonen die Schulen und Universitäten geschlossen wurden. Seine Begründung: „Unerwähnt bleibt, daß hier das Bildungssystem erst von Israel aufgebaut wurde.“

An dieser Stelle vermengen sich bei David Singer Anklänge an Nationalismus und Rassismus, deren Eigenschaft es ja unter anderem ist, Kollektive nach außen hin klar abtrennbar zu machen. Die eigene „Leistung“ im Bildungsbereich wird dazu benutzt, um eine Legitimation für den ungleichen Zugang zu Gütern und Rechten zu liefern. Sie wird dazu benutzt, ein Machtgefälle zu demonstrieren: Palästinensische Kinder als Kinder zweiter Klasse!

Daß es sich dabei tatsächlich um Rassismus handelt, wird an einer anderen Stelle noch deutlicher, wenn palästinensische Kinder als „etwa fünfjährige, Parolen plappernde Minimachos“ bezeichnet werden. Hier werden Kinder dazu vernutzt, die eigene Machtposition unreflektiert zu zementieren. Wen wundert es da noch, daß diese „Machthaber“ (die nicht nur über das Bildungssystem herrschen) in den Augen der in diesem Film gezeigten Kinder wie Herrenmenschen erscheinen.

Geschichte wiederholt sich nicht. Aber sie zeigt in bestimmten historischen Momenten aus einem bestimmten Blickwinkel gesehen ein Gesicht, das sich in der bundesdeutschen Geschichte zu oft gezeigt hat. Es muß heute Aufgabe sein, diese gefährlichen Gesichter so früh wie möglich zu erkennen, um sie zu bekämpfen. In der Bundesrepublik und auch in Israel. Der Blickwinkel der „Kinder der Welt“ ist der beste Blickwinkel, daß sich „Geschichte“ nicht wiederholt.

(Der Beitrag von David Singer erschien am 26.September unter dem Titel „Den Genozid zum Gärtner gemacht“.