DDR-Emigranten verkaufen und verhandeln

Der DDR-Anwalt Vogel hat in der Bonner Vertretung in Warschau mit seinen Verhandlungen einstweilen nichts erreicht / Flüchtlinge lehnen „Prager Lösung“ ab / Es werden stündlich mehr / Wie Polen am Flüchtlingsboom verdienen  ■  Aus Warschau Klaus Bachmann

„Die Stimmung ist gut“, meint einer derjenigen DDR-Bürger, die inzwischen mit ca. 200 anderen im Kloster von Tarchomin untergebracht sind, „heute soll ja der Vogel kommen.“ Die Bonner Vertretung hat den Flüchtlingen mitgeteilt, es würden Busse bereitgestellt für diejenigen, die zu dem Gespräch mit dem Ostberliner Anwalt und Honecker-Intimus in die Botschaft kommen wollen. Nicht allen ist der Vorschlag geheuer: „Wir gehen da nicht mit, wer weiß, wo die Busse hinfahren“, sagt eine Frau, die in dem Moment ihr Gesicht abwendet, als ein Kamerateam auftaucht.

Um das Lager herum entwickelt sich indessen ein reges Wirtschaftsleben. Polen, die auch schon mal ins Lager zur Besichtigung kommen, kaufen den DDR-Bürgern ihre Trabis, Ladas und Wartburgs ab. Vor dem Lager sitzt ein Ostberliner Arbeiter mit zwei Polen in seinem kleinen Lieferwagen und verhandelt. Der Zweitakter, Baujahr 1976, geht schließlich für lächerliche 250 konvertible Dollars in den Besitz des Polen über, der ihn angeblich für sich selbst gekauft hat, aber von einem Landsmann gleich wegen des Kaufs eines weiteren angesprochen wird. Ein Lada sei für 100 Dollers zu haben, ob er sich nicht beteiligen wolle?

Er will nicht, schließlich hat er ja die Wahl, was die Bürger aus dem Nachbarstaat DDR nicht von sich behaupten können. Einige wollen ihre Trabis der Kirche vermachen, wenn sie gehen, weil die ja schließlich hier für sie aufkommt.

Deutlich wird: hier werden Brücken für immer abgebrochen wer seinen Trabi verkauft, geht auch nicht für sechs Monate in die DDR zurück, wie die Prager. Als dann zwei Busse vorfahren, um die Verhandlungswilligen zur Botschaft zu bringen, steigen auch nur 60 der über 200 ein.

Vor der Bonner Botschaft in der engen Ulica Dabrowiecke herrscht ein Andrang wie nie zuvor. Taxifahrer, Busfahrer, Journalisten, Flüchtlinge, die sich anhören wollen, was Vogel zu sagen hat. Ein DDR-Bürger berichtet, die Zahl der Flüchtlinge sei inzwischen auf insgesamt 700 angestiegen 150 in der Botschaft, 200 in Tarchomin; die anderen seien in Privatquartieren, bei Verwandten, in anderen kirchlichen Quartieren untergebracht. Ständig werden es mehr, die meisten davon sind illegal über die Grenze gekommen.

Während Anwalt Vogel drinnen mit den Flüchtlingen verhandelt, steigt eine Familie aus einem Taxi. Das junge Ehepaar ist mit dem anderthalbjährigen Sohn in der vorherigen Nacht durch die Oder geschwommen. Der Vater: „Wir sind schon im August von den Ungarn an der Grenze zu Österreich abgefangen worden. Die haben uns dann nach Bratislava gebracht, wo wir drei Tage lang bei den Tschechen ohne Essen im Knast gesessen sind. Dann hat man uns in Ost -Berlin eingesperrt, aber nach ein paar Wochen wieder rausgelassen, weil kein Platz mehr war. Da herrscht jetzt so ein Chaos, das haben wir ausgenutzt und sind durch die Oder.“ Andere Flüchtlinge erzählen gar von einer Schwangeren, die noch zusätzlich mit einem Kind die Oder durchschwommen habe.

Nach solchen Erfahrungen stehen Vogels Chancen schlecht. Wie Flüchtlinge anschließend berichten, habe Vogel in Aussicht gestellt, wer zurück in die DDR fahre, könne damit rechnen, nach einiger Zeit - die Rede ist von sechs Monaten wie in Prag - ausreisen zu dürfen. „Er sagte, er wolle nur mit denen sprechen, die darauf eingingen“, erzählt ein Teilnehmer, „da sind alle aus dem Saal gegangen.“ Vogel ist entsprechend einsilbig, als er herauskommt: „Ich möchte nichts sagen“, und steigt in seinen Mercedes. „Was soll ich denn damit“, kommentiert der Vater, der von Ungarn über die CSSR und Ost-Berlin nach Warschau gekommen ist, „ich geh zurück, dann holen sie mich zum Militär für drei Jahre und aus der Traum.“

Der Sprecher des polnischen Außenministeriums, Stefan Staniszewski, hat inzwischen vor Journalisten erklärt, die Angelegenheit der DDR-Flüchtlinge sei „auf gutem Weg“. Beide deutsche Staaten seien bemüht, eine Lösung zu finden, die sowohl ihre jeweiligen Interessen als auch die humanitären Aspekte des Problems zu berücksichtigen trachte. Die polnische Regierung stellt sich bisher auf den Standpunkt, das Problem sei in erster Linie eines zwischen der Deutschen Demokratischen und der Bundesrepublik.