Viele Wasserwerke müssen kapitulieren

■ Offenbarungseid durch die neue Trinkwasserverordnung: Jedes fünfte Wasserwerk überschreitet die Grenzwerte / Joseph Grünbeck: Alles eine Frage der Ästhetik / Gesundheitsministerin Lehr: 1.200 Wasserwerke werden Ausnahmegenehmigungen erhalten

Bonn (dpa/taz) - Die neue Trinkwasserverordnung zwingt die Bundesrepublik zum Offenbarungseid. Gesundheitsministerin Ursula Lehr mußte gestern in der Bundestagsdebatte eingestehen, daß jedes fünfte Wasserwerk die von Sonntag an geltenden neuen Werte nicht einhalten kann. Eine Schließung von Wasserwerken wird es trotzdem nicht geben. Die rund 1.200 von insgesamt 6.300 Wasserwerken des Landes werden von den jeweiligen Bundesländern Ausnahmegenehmigungen für zwei Jahre erhalten. In dieser Zeit sollen sie saniert werden. Frau Lehr: „Blindlings Wasserwerke zu schließen, das kann nicht unsere Antwort sein.“

Dennoch kam die Ministerin während der Debatte sichtlich in Bedrängnis. Für die Bürger werde das schwer verständlich sein, räumte sie ein. Trotz Überschreitung der Grenzwerte bestehe aber keine Gesundheitsgefahr, weil, so die Ministerin-Logik, die gesundheitlich bedenkliche Grenze bei den meisten Pestiziden weit höher liege als der Grenzwert. Die Überschreitung der Grenzwerte kann, je nach Stoff, das Zehn- bis Hundertfache des Grenzwertes betragen. Nur für die eindeutig als krebserregend klassifizierten Stoffe sind Grenzwertüberschreitungen unzulässig.

Während die Ministerin dennoch glaubt, daß sich „unser Wasser sehen und trinken lassen kann“, erkannte Klaus Lennartz (SPD), daß das Reinheitsgebot des Bieres längst nicht für das Wasser gelte mit dem es gebraut werde. „Unsere Wasserwerke werden chemischen Fabriken immer ähnlicher“, kritisierte er und verwies auf den Bau von Ringleitungen mit dem gutes und schlechtes Wasser vermischt werden soll, um so die Belastung unter die Grenzwerte zu drücken.

Charlotte Garbe von den Grünen nannte die Ausnahmeregelungen einen umwelt- und gesundheitspolitischen Skandal. Es gehe nicht an, daß „Menschen zu Schadstoff -Senken werden wie die Seehunde in der Nordsee“. Frau Garbe wies daraufhin, daß es bisher nur für 181 von 280 Pestizid -Wirkstoffen überhaupt Analyse-Methoden gebe. Der Rest könne gar nicht erfaßt werden. Die Bundesregierung müsse unverzüglich handeln.

Der FDP-Politiker Joseph Grünbeck warf Grünen und SPD Panikmache vor und sorgte dann für den eigentllichen Höhepunkt der Wasser-Debatte. Die neuen Grenzwerte, räsonierte er, seien keine Grenzwerte für die Gesundheitsgefährdung, sondern hätten nur „einen ethischen oder ästhetischen Wert“.

-man