Der tödliche Virus kam aus Südafrika

■ In unserer neuen Serie „Walter Mompers Tiere der Heimat“ werden heute die Fledermäuse behandelt Weil die Säugetiere vom Aussterben bedroht sind, startete der Senat jetzt ein Fledermaus-Hilfsprogramm

So manch einer kennt Fledermäuse nur aus Filmen. Bei Graf Dracula gehören sie zur unabdingbaren Requisite. Doch wenn man genauer hinschaut, kann man erkennen, daß es sich im Film meist um Graphiken handelt und nicht um echte Fledermäuse. Das hat seinen Grund nicht zuletzt darin, daß es keine Fledermäuse zum Filmen mehr gibt. Wenigstens in unseren Breiten gibt es keine Kolonien mehr, die so groß sind, daß sie für einen Regisseur interessant wären. In Berlin hat jetzt der Senat auf die bedrohliche Situation der Fledermäuse reagiert und auf Betreiben von Experten ein „Fledermaus-Hilfsprogramm“ ins Leben gerufen. Dazu wurden mit verschiedenen Menschen Werkverträge abgeschlossen. Zu ihnen gehört unter anderem der Fledermauskenner und Biologielehrer an der Askanischen Oberschule, Jürgen Klawitter. Das Hilfsprogramm ist auf fünf Jahre angelegt und umfaßt zahlreiche Initiativen.

Der wichtigste Punkt betrifft die Aufklärung. Die Bevölkerung, wie die Verwaltungen sollen über die Lebensbedingungen der Fledermäuse informiert werden. Gezielt sollen Bauverwaltungen, Garten- und Forstämter, Architekten und Handwerkerinnungen angesprochen werden, um sie auf fledermausgerechtes Bauen aufmerksam zu machen. In diesem Jahr wurde mit der Aktion „Kastenprogramm“ begonnen. Bis heute wurden in Berlin 180 neue Fledermauskästen aufgehängt. Damit soll geprüft werden, welche Kastentypen am besten für Parks und Forste geeignet sind. Über fünf Jahre werden sie regelmäßig überwacht. Alte Baumbestände in Parks und Friedhöfen wurden besichtigt und auf Quartiere untersucht. Von den Ergebnissen werden die verantwortlichen Behörden unterrichtet und um Zusammenarbeit gebeten. Ein weiterer Schwerpunkt in diesem Jahr ist die Suche nach Winterquartieren gewesen. Dazu wurden die Verwaltungen angeschrieben und nach geeigneten Räumen, Kellern und Dachböden befragt. Fünf Objekte wurden bis jetzt gefunden und für Fledermäuse zugänglich gemacht.

Fledermäuse brauchen geschützte Verstecke. Die meisten Fledermäuse hängen nicht frei von der Decke herab, sondern brauchen den Kontakt auf der Haut. Zu diesem Zweck sind Schlupfhilfen wie bestimmte Hohlblocksteine gut geeignet. In der Planung ist die Errichtung eines „Bunkers“ an der Havel. Das ist ein eigens für Fledermäuse gebautes unterirdisches Gewölbe mit vielen Nischen, Spalten und Löchern, hoffentlich fernab vom Zutritt der Spaziergänger.

Der gerade begonnene Versuch, die Fledermäuse für Berlin zu erhalten, wird aber bereits wieder bedroht. Die Tollwut macht sich breit. Im Sommer wurden drei Tiere gefunden, die mit dem Virus „Duvenhage“ infiziert waren. Das ist ein Tollwutvirus, das in Südafrika bekannt ist und vermutlich nur bei Fledermäusen vorkommt. Es ist mit dem Tollwutvirus bei Füchsen beispielsweise nicht identisch. Seit 1985 tauchte es das erste Mal in Europa in Polen auf und wird inzwischen auch im Bundesgebiet, in Holland, in Spanien und in Dänemark beobachtet. Wie der leitende Veterinärsdirektor Dr. Jochen Hentschke vom Landesuntersuchungsinstitut für Lebensmittel, Arzneimittel und Tierseuchen mitteilt, ist das Virus noch relativ unbekannt. Über den Übertragungsweg wird vermutet, daß es mit infizierten Fledermäusen per Schiff aus Südafrika nach Europa gekommen ist. Genaues läßt sich aber noch nicht sagen. Auch über die Verbreitungesgeschwindigkeit gibt es noch keine Angaben. Die drei infizierten Berliner Fledermäuse wurden nach Tübingen geschickt und dort untersucht. Zwei von ihnen gehören zur Gattung der Breitflügelfledermäuse (Eptesicus serotinus). Es ist die Art, die am häufigsten in Berlin vorkommt. Ungefähr 3.000 Exemplare von ihnen leben in der Stadt.

Über die Auswirkungen der Tollwut auf die Fledermauspopulation möchte keiner der Experten spekulieren. Große Besorgnis ist auf jeden Fall entstanden. Eine zusätzliche Gefährdung der Fledermäuse in dieser angespannten Situation sieht Jürgen Klawitter, es treffen nämlich zwei Gesetzespflichten mit unterschiedlichem Interesse aufeinander. Nach dem Bundesseuchengesetz müssen verdächtige Tiere getötet und untersucht werden, nach dem Artenschutzgesetz aber stehen Fledermäuse unter strengstem Schutz. Jürgen Klawitter fordert deshalb eine Regelung auf juristischer Grundlage, die beiden Interessen gerecht wird und überflüssiges Töten der seltenen Tiere verhindert.

Ulrich Tigges