Der Star meiner Straße

Bevor ich weitermache

Muß ich eine Klammer schreiben

(Ein Kapitel, genauer,

in einer Geschichte oder einem Buch)

Über jemanden, der in

Meiner Gegend nicht

Wohnhaft ist,

Obwohl in diesem Fall

Erklären Beiwörter

Gar nichts, also verrate ich lieber

Daß ich von Scallion spreche.

Und wenn ich Scallion sage,

Dann, denke ich, reicht das

Und ich brauche nicht mehr zu erklären,

Denn Ihr alle wißt gleich,

Wer dieser Kerl ist,

Von dem ich mir erlaube

Zu sagen, er ist der berühmteste

Kater der Stadt,

Auf den man Gedichte gemacht hat

Und Bilder gemalt

Wie das mit Stars eben geht.

Man hat wahrhaftig schon

Comics auf ihn gemacht, voller

Spannung und Witz,

Sogar im Fernsehen.

Also, bei diesen Erfolgen,

So unbestreitbar

und unglaublich,

da ist es kein Wunder,

Daß die ganze Straße sich dreht

Wenn er spazierengeht

Und rennt, ihn zu sehen.

Weit auf fliegen Fenster,

Kinder vergessen die Schularbeit,

Zweige drängen über den Zaun,

Das Gewühl wird dicht

wie auf einer Hauptstraße.

Autos sind gezwungen

Langsam zu fahren.

Man wirft bewundernde Blicke

Auf Katzenart.

Man gibt ihm Blumen,

Brot und Salz,

Einen Brief oder zwei

In verschlossenem Umschlag

Und jeder ruft

Scallion.

Er geht weiter, gewichtig und kühl,

Gibt hier einen Rat, hört dort lauten

Protest (wie etwa den einer Henne mit Küken

gegen marodierende Kater),

Verteilt Süßholz und Pfotenschlag,

Hier und da eine Strafe

Vielmehr

Eine Rüge

Und jeder merkt auf

Und ist voller Dankbarkeit.

Selbst der Streit (man glaubt es kaum)

zwischen Straßenkatzen

und Katern ist kurzfristig aufgeschoben!

Und (alles andere übertreffend) hörte ich sagen,

Daß eine kleine Maus

Die auf ihr Ende wartete

Durch Seine Hoheit

In höchsten Tönen

Zwischen zwei seiner Atemzüge heulte

„O, welch ein Privileg es ist,

von Ihm gefressen zu werden!“

Bei solch unheimlichen Zuständen

Finde ich es nur normal

Daß dem Scallion sein Fell zu eng wird

Und er meint, er sei phänomenal.

Deshalb bin ich erstaunt,

Daß er mir Antwort gibt, wenn ich ihn rufe

(Bot ihm an, ich gebe es zu, aus Dankbarkeit

Ein Gedicht).

Vielleicht geht ihm doch durch den Kopf

Den Kopf einer so gefeierten Persönlichkeit

auf ihrem Höhepunkt,

manchmal

und mit Schwierigkeiten,

Wie etwas Vergessenes

Die Erinnerung

Daß schließlich ich ihn erfand.

Ana Blandiana

Mit diesem Gedicht, das im offiziellen Verlag Editura Ion Creanga (innerhalb einer Gedichtsammlung für Kinder mit dem Titel „Ereignisse in meiner Straße“) 1988 in Bukarest publiziert wurde, verärgerte die Autorin den Präsidenten ihres Landes (nicht das erste Mal, siehe den Artikel von D.Deletant). Er identifizierte sich mit dem Kater und war beleidigt. Geplante und schon im Druck befindliche Bücher wurden verboten, Ana Blandianas Name aus der Zeitung 'Romania Literara‘ gestrichen und jede weitere Arbeit unmöglich gemacht.

Sechs Monate nach diesem Vorfall schrieb Blandiana einen Brief an Ceausescu, in dem sie gegen diese Behandlung protestiert und erwähnt, daß gleichzeitig in der UdSSR, der DDR, in England und Italien Bücher von ihr erschienen oder geplant sind (der in der DDR erschienene Band mit Erzählungen heißt „Kopie eines Alptraums“, Volk und Welt, 1988). Nach diesem Protestbrief konnte eine Anthologie mit Gedichten von Ana Blandiana in Rumänien publiziert werden. Sie enthält jedoch keines ihrer Gedichte aus den letzten fünf Jahren.