LAVENDEL, WEIN UND LINDENBLÜTEN

■ Die nächste Steigung kommt bestimmt - per Rad durch die Haute Provence

Durch die Haute Provence mit dem Rad? Pourquoi pas, es muß ja nicht der Mont Ventoux sein oder täglich ein frustrierender Paß. Die Hochtäler nördlich des höchsten Berges der Provence lassen sich auch mit untrainierten Radlerwaden bezwingen.

Ein Beispiel für eine solche Tour ist die Fahrt von Nyons nach Buis-les-Baronnies: eine gemütliche Tagestour von 35 Kilometer, mehr muß es bei Sommerhitze und vollem Gepäck auf dem Sattel nicht sein. Von Nyons in Richtung Vaison-la -Romaine fahrend, biegt man kurz vor Vaison nach Osten ab. Puymeras steht auf dem Schild. Und schon liegt das erste Hochtal vor einem. Obwohl eng, fühlt man sich nicht eingeschlossen. Noch sind die Berge rechts und links sanft und grün. Von nun an radelt man immer auf einer Höhe von 300 bis 500 Metern, begleitet von der Ouveze, einem frischen kleinen Bergfluß mit vielen kleinen Badestellen. Romantische Nischen, die verdammt oft vom Strampeln ablenken.

Die Gegend ist ungeheuer fruchtbar. Jeder Platz ist genutzt. Terrassen sind angelegt. Ölbäume, Lavendelfelder, Aprikosen, Korn, Wein, Mais. Und irgendwann blitzt es durch die Büsche: Bienenkörbe aus Metall! Obwohl die Landschaft sehr originär wirkt - bei den Bienen zumindest ist die Moderne eingezogen. Die Bauern, die hier siedeln, wissen, was sie an den windgeschützten Mulden haben, wo die Feuchtigkeit der Flüsse zusammen mit der intensiven Sonneneinstrahlung die Wirkung von natürlichen Solarzellen ergibt.

Während der nächsten Stunden erspäht man nicht das geringste Anzeichen einer Industrieansiedlung. Ungewohnt gerade für uns, die wir unser eigenes zersiedeltes Land kennen. Der Landstrich Les Baronnies hat den Ruf, wenig umweltverschmutzt zu sein. Deutsche Ökofirmen beziehen einen Großteil ihrer Produkte, Wein, Lavendel, Olivenöl aus dieser Gegend. Unterwegs trifft man hin und wieder auf Ölmühlen oder die schwarzen Schornsteine der Lavendeldestillerien. Der Lavendel riecht derart intensiv bei der Verarbeitung, daß man glaubt, knietief im Odeurwässerchen 4711 zu stehen. So der Radler das Aroma erträgt, kann er der Verarbeitung eine Weile zuschauen. Die Männer, die dort arbeiten, kümmern sich nicht um einen.

Überhaupt fühlt man sich bei den kurzen Rasten in den winzigen Dörfern fast ignoriert. Ein kurzer neugieriger Blick von den Gästen der Bars, dann vertiefen sie sich wieder in ihre Gespräche. Sie sind freundlich, bleiben aber distanziert.

Touristisch ist hier wenig los. Kaum Autoverkehr, Ausländer trifft man nicht. Häufiger wird man von Franzosen jeglichen Alters auf Rennrädern mit gekeuchtem „Bonjour“ überholt. Ich will es nicht verhehlen: Es geht seit Stunden peu a peu bergauf. Und mit der Zeit überkommt einen die altbekannte Weisheit wie eine nagelneue Erkenntnis, daß nämlich ein ersehntes Gefälle nicht die ersehnte Erholung bedeutet. Die nächste Steigung folgt sofort.

Aber die Landschaft - sie lenkt ab von allen Strapazen. Und darüber dieser Himmel. Dieses Blau! Das Blau, das Paul Klee über Jahre suchte und schließlich an der Cote d'Azur fand. Und die ist nicht so weit entfernt.

Je mehr man sich nach Osten bewegt, desto felsiger wird es rechts und links. Der Stein, sozusagen die Urmaterie der Haute-Provence, bestimmt jetzt die Landschaft, macht sie karg, aber nicht trist. Obwohl touristisch unbeachtet, gibt es unterwegs ausreichend Campingplätze, auf denen französische Verhältnisse herrschen: Diese Atmosphäre vom Stehklo bis zur Angewohnheit, auf jedem Quadratmeter - und sei er noch so schräg und holprig - die Boulekugel zu schieben.

Eines sei gesagt an dieser Stelle. Die hier beschriebene Route ist nur etwas für Kulturbanausen. Keine römischen Ausgrabungen, keine Säulenreste, keine Theaterfestivals in den bombastischen Arenen der römischen Okkupanten und damit auch kein Rummel - das ist Les Baronnies mit seinen kleinen Orten Brantes, Montbrun-les-Bains, St. Jalle, die trotz eventueller Wadenkrämpfe alle angeradelt werden sollten. Man muß die Lust am Detail haben und Kleinigkeiten wahrnehmen, die soweit wegführen vom eigenen Alltag: die lässig gelegten elektrischen Leitungen, die sorglos an den Hauswänden hängen, die bemoosten Brunnen - Mittelpunkt eines jeden noch so kleinen Ortes, die tafelnde Gemeinde vor der Kirche. Oder das bis tief in die Nacht dauernde metallische Klicken der Boulekugeln.

Schaut man den Spielern lang genug zu, dann wird sie einem langsam vertraut, die französisch-tatiresque Diagonale. Von dem prüfend vorgeneigten Kopf, bestückt mit der ewigen Zigarette bis zu dem in gebührenden Grenzen ausgestreckten Hinterteil und den darauf locker gefalteten Händen. Der höfliche Beobachter verbirgt die aufkommende Heiterkeit und wendet sich konzentriert den Kugeln zu. Daß auch Frauen inzwischen zur Kugel greifen, scheint eine epochale Veränderung. Allerdings spielt jedes Geschlecht für sich. Gemischte Doppel wurden nicht gesichtet.

Das Ziel dieses Tages, Buis-les-Baronnies, ist bekannt für einen weiteren Exportartikel neben Lavendel und Öl: Hier werden Jahr für Jahr etwa 200 Tonnen Lindenblüten umgeschlagen. Was aber noch auffällt an diesem sonst ganz normalen französischen Ort, sind die Freaks der neuen Generation. Nicht die mit den langen Haaren und Hanfgeruch, sondern diese braungebrannte, muskulöse, in Schockfarben gekleidete Spezies: Freiwandkletterer, die in Buis gegenüber der Ouveze an den Steilwänden trainieren. Während sich die französischen Familien genügsam im Wasser tummeln, krallen sich über ihnen die permanent gut aufgelegten Modesportler vorwärts. Hübsch zu beobachten, auch wenn man weiß, daß dieser Sport seit neuestem angefeindet wird, denn er führt zu Wildabstürzen in den Wänden. Die Tiere sind durch das plötzliche Auftauchen der Kletterer irritiert und verlieren ihre Trittsicherheit. Bergvögel verlassen ihre Nester.

Von Buis des Baronnies gehen weitere Radtouren aus. Von da ab fährt man zum Beispiel durch enge Schluchten in zwei Tagen nach Sisteron, einer Stadt, in der einen der Kulturrummel wieder in die Finger bekommt. Aber zwischendurch kann man das gut ab, oder?

Annette Schöler