Flüchtige Geister der Schuldenreduzierung

Nach der Washingtoner Währungstagung ist der Jammer groß: Die Einsicht, daß die Lösung der Schuldenkrise von der Gläubigerseite her kommen muß, ist da, aber dafür, daß die Voraussetzungen geschaffen werden, hat sich niemand gekümmert / Starke Banken stehlen sich aus der weiteren Mitarbeit  ■  Aus Washington Ulli Kulke

Bundesfinanzminister Theo Waigel hatte noch zu Beginn der Washingtoner Weltwährungstagung Urheberrechte für „Deutschland“ geltend machen wollen: Wenn es jetzt hier bei der Jahrestagung von Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank um Schuldenreduzierung gehe, so sei das schließlich nichts anderes als der „Geist von Berlin“. Aber ganz abgesehen davon, daß viele Weltwährungsmanager bei ihrer letztjährigen Tagung im Berliner ICC weniger auf Initiative der Bonner Bundesregierung als nicht zuletzt durch den Druck der Straße und öffentlichkeitswirksamer Gegenkongresse von Nachlaß, Erlaß oder Erleichterungen bei den Drittweltschulden fabuliert hatten: Geister sind flüchtige Angelegenheiten, und so verschwand denn der „Geist von Berlin“ - wenn er es denn war - von Tag zu Tag zusehends vom Parkett der Washingtoner Konferenz, und damit auch Waigels Geisterbeschwörung.

Keine Frage - zu Beginn wohl keiner Währungskonferenz war die Einsicht in die Notwendigkeit von Teilschuldenerlassen so groß wie in Washington 1989. Nicht nur Amtsneuling Waigel war von Bonn mit der Devise „Unterstützung der Brady -Initiative“ zum offiziellen Schuldenverzicht nach Washington geschickt worden. Insbesondere die US-Regierung war es schließlich, die für den Vorstoß ihres Finanzministers warb. Der scheinbar ewig-gültige Standardappell an größere Anpassungsanstrengungen der Schuldnerländer selbst wurde in der US-Hauptstadt dagegen diesmal bemerkenswert klein geschrieben. Lediglich ein paar böse Buben, die weder anpassen noch ihre Schulden beim IWF begleichen wollten - ein absolutes Sakrileg -, standen auf der Anklagebank, allen voran Peru als Hauptbeschuldigter.

Am Ende war das Gejammer groß: „Große Enttäuschung nach der Jahrestagung von IWF und Weltbank“ lautet etwa die Schlagzeile bei der 'Frankfurter Allgemeinen‘. Aber während das Blatt zu jener Öffentlichkeit gehört, die in der Vergangenheit zuförderst die Krisenlösungen in der Wirtschaftspolitik der Schuldnerländer selbst suchte, war dies in seinen Augen nicht Grund für die Enttäuschung. Auch hier hat man inzwischen erkannt, daß Lösungen bei den Gläubigerbanken und den internationalen Währungsinstitutionen wie IWF und Weltbank einzuleiten sind. Aber gerade da hakt es gewaltig. Die Washingtoner Bilanz: Private und öffentliche Gläubiger schoben sich gegenseitig die Verantwortung zu, nichts hat sich bewegt. Von großem Glück können die paar Unentwegten reden, die dennoch bei den Erfolgsparolen bleiben wollen, daß gegen Ende noch das Kreditpaket von IWF, Weltbank und der EG für Polen ein Stück vorangekommen ist. Theo Waigel und der übrigen Bonner Delegation muß es dabei in der Seele weh getan haben, daß der Geist von Berlin damals noch nicht über seinen Schatten springen und Gelder für die maroden Ost-Wirtschaften mitspringen lassen konnte, wo man sich in Bonn und Berlin doch so gerne als Drehscheibe der Ost-West-Wirtschaft präsentiert.

Im Mannschaftswettbewerb der Tagung wurde in Washington ein eindeutiger, gleichwohl zweifelhafter Heimsieg nach Hause gefahren. Alle bedeutenden Akteure kamen aus den USA, die übrigen Ländermannschaften wurden zu Statisten degradiert. Selbst von den Japanern, die in der privaten wie bilateral -öffentlichen Währungsszene mehr denn je mit Geld um sich schmeißen, und dies nun auch im IWF nach dem Motto „Was kostet die Welt“ praktizieren wollen, sprach man eher am Rande. Allerdings: Die US-Mannschaft ist in sich heillos zerstritten.

Am Anfang stand die Idee

Da ist einmal US-Finanzminister Nicholas Brady, der eine Idee in die Welt gesetzt hat. Alternativ sollen die Gläubigerbanken zwischen drei verschiedenen Optionen zur Kapitalhilfe wählen können, wenn erst mal eine Rahmenvereinbarung mit dem betreffenden Schuldnerland erreicht ist: entweder Schuldenverzicht unter gleichzeitiger Absicherung der Restschulden durch Wertpapiere oder Zinsreduktion (diese ersten beiden Optionen mit Finanzhilfe des IWF) oder auch die alte Tour: neue Kredite („fresh money“). Die eigentlich neuen Modelle - zumindest für die offiziell erklärte Politik, ausnahmsweise gab es bereits einige Versatzstücke davon, unter anderem mit Mexiko - sind die ersten beiden Optionen. Sie haben allerdings zwei Voraussetzungen: Soll das Ganze in größerem Maßstab laufen, dann braucht der IWF mehr Geld. Dies auch unter dem Gesichtspunkt, daß sich die Washingtoner Währungsmanager darüber freuen, demnächst auch eine ganze Latte von Ostblockländer unter ihren Anpassungsfittichen begrüßen zu können. Zum zweiten sind die US-Banken noch etwas bockiger als ihre Kollegen, was Schuldennachlässe angeht. Der Grund: Sie haben im Gegensatz zu den europäischen Banken nicht die Möglichkeit, entsprechend ihrer bilanzmäßigen Risikovorsorge für faule Kredite - den „Wertberichtigungen“ - die Steuerschuld zu verringern.

Der Schlüssel zur Lösung dieser Probleme liegt irgendwo zwischen der US-Regierung in Washington, dem IWF gleich nebenan und den Bankenwolkenkratzern in New York. Gegen eine IWF-Quotenaufstockung hat inzwischen niemand mehr etwas einzuwenden, selbst die US-Regierung ist jetzt irgendwie überzeugt. Doch der US-Haushalt befindet sich gerade in einer sensiblen Phase. Derzeit überprüfen Haushaltsexperten nämlich, um wieviel jeder einzelne Haushaltsposten nach dem Gram-Rudman-Gesetz, das einen ausgeglichenen Etat zwingend notwendig macht, linear gekürzt werden muß. Die Washingtoner Regierung stellte sich also erst mal quer, was die IWF -Quotenerhöhung angeht. Aus ähnlichen Gründen liegt ein Gesetzentwurf zu besseren steuerlichen Abschreibungen von Wertberichtigungen fauler Kredite auf Eis, obwohl man sich in der Frühjahrstagung des IWF und schon beim Weltwirtschaftsgipfel in Toronto 1988 auf einheitlichere Regelungen geeinigt hatte. Auch die geringeren Steuereinnahmen wären Gift für den zutiefst verschuldeten Haushalt. Die Regierung Bush muß erkennen, wie sehr der kostenwirksame Rüstungswahn Reagans jetzt ihre internationale Handlungsfähigkeit beeinflußt. Es paßt gut in dieses Bild, daß die Banken die Konkretisierung ihres Brady -Rahmenabkommens für Mexiko auf den November verschoben haben.

Abzugsfähigkeit hin, Milliardengewinne her. Just zur Eröffnung der Jahrestagung zeigten einige US-Banken, wozu sie fähig sind. Citicorp und Morgan-Guaranty machten gewaltige Wertberichtigungen bei ihren Drittweltschulden, letztere sogar zu hundert Prozent. Morgan hat somit alle ihre Forderungen an die Schuldnerländer bilanzmäßig aufgegeben, freilich noch nicht die Ansprüche. Aber gerade diese Mischung machte Teilnehmer wie Beobachter der Washingtoner Tagung wiederum besonders skeptisch. Morgan Guaranty hat jetzt völlig freie Hand in seinem Umgang mit den Schuldnerländern. Nichts kann die Bank zwingen, ihre Außenstände etwa in den Brady-Plan einzubringen, auf einen Teil zu verzichten, um die restlichen Schuldendienstzahlungen gesichert hereinzubekommen. In den Bilanzen stehen keine Ansprüche mehr, auf deren Sicherheit man bei der eigenen Geschäftspolitik Rücksicht zu nehmen hätte. Ebensowenig wird man sich zur Vergabe von „fresh money“ veranlaßt fühlen, um die Kuh Mexiko für weitere Melkeinsätze aktuell am Leben zu erhalten. Man kann also bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag auf bessere Zeiten in Mexiko warten, um dann zum Inkasso zu schreiten - von dann als außerordentliche Gewinne zu registrierenden Einnahmen. Demgegenüber muß sich beispielsweise Commerzbank-Chef Walter Seipp als wahrhaft armes Würstchen fühlen: Er kämpft wacker gegen den Brady-Plan, muß sich aber nach eigener Einschätzung dennoch - in Form von Schuldenreduzierungen daran beteiligen, weil er ansonsten Diskriminierungen bei Mexikos Zinszahlungen befürchtet und nach einer Brady -Verweigerung auch keine Solidarität bei den anderen Banken erwarten könnte.

Die Konsequenz aus diesem Hin- und Hergeschiebe des schwarzen Peters ist nun, daß IWF, Weltbank und Gläubigerregierungen die Banken dazu auffordern, gleichzeitig Schulden zu reduzieren und neue Kredite zu vergeben, während die sich mehr und mehr im Selbst-„bailing out“ versuchen: Durch unorganisierte Bilanz-Aktionen aus der „Verantwortung“ für die Drittweltländer im Sinne des Schuldenmanagements zu stehlen. Aber auch scheinbar so verantwortungsvolle Institute wie die Deutsche Bank, die sich mit Plänen zur Schuldenreduktion hervorgetan hat, zeigen begrenzte Verantwortung. Mit neuen Krediten will auch Alfred Herrhausen äußerst geizig umgehen. Und was das neu zu beackernde Feld Osteuropa angeht, so soll das „fresh money“ auch seiner Ansicht nach ausschließlich vom Währungsfonds kommen oder ganz klar staatlich verbürgt werden.

Ein „anderes Washington“, das sich als Protestbewegung um all dies gekümmert hätte, gab es nicht. Traditionell nimmt man hier eher die fatale Umweltpolitik der Weltbank aufs Korn. Immerhin waren diesbezüglich diesmal mehr als früher selbstkritische Worte darüber zu vernehmen, daß man durch die eigene Strategie des „Internal Lobbying“ eher Weltbank -Präsident Barber Conable zur Einrichtung einer Umweltabteilung und zu schönen Erklärungen veranlaßt hat, als daß sich an der tatsächlichen Politik etwas geändert habe.