Ketten und Kanonenschlag

Am Wochenende finden auf dem Platz des himmlischen Friedens die offiziellen Jubiläumsfeiern statt  ■  Aus Peking Georg Blume

„Es gibt einen Trend auf der Welt, der die kommunistischen Länder den Kommunismus aufgeben läßt und sie kapitalistisch macht“, bemerkte unlängst der Kommentator der offiziellen Pekinger Parteizeitung. Damit China nicht kapitalistisch und der Kommunismus in Ehren gehalten wird, feiert die Volksrepublik am Sonntag ihren 40. Geburtstag - mit Kettenrasseln und Kanonenschlag.

Das Kettenrasseln dringt aus den Kerkern der Republik, wo Verfolgte der Demokratiebewegung ihres Schicksals harren. Der Kanonenschlag aber wird morgen erneut auf dem „Platz des himmlischen Friedens“ in Peking, dem Tiananmen, erschallen, wo die alten Herrscher der Volksrepublik ihre in diesem Jahr zum ersten Mal für kurze Zeit gefährdete Macht demonstrieren werden.

Ausgerechnet ein hünenhaftes Porträt des chinesischen Frührevolutionärs Sun Yatsen haben die Genossen in diesem Jahr zum Gründungstag der Volksrepublik am 1. Oktober auf dem Tiananmen errichten lassen. Gerade dieser in seinen Ansichten bürgerlich-liberale Sun Yatsen war im Frühjahr drauf und dran, zum historischen Idol der jungen Studentenbewegung zu erwachsen. In Kanton, seiner Heimatstadt, skandierten Tausende von Demonstranten tagelang seinen Namen und hielten ihre Versammlungen stets vor seinem Denkmal ab. Offenbar hat die Kommuninistische Partei Chinas nun auch um die Inbesitznahme ihrer revolutionären Vorgeschichte Angst.

100.000 Gäste sind zur offiziellen Feier auf den Tiananmen geladen, und man erwartet Alt-Herrscher Deng Xiaoping in der ersten Reihe der Ehrentribüne. Spekulationen freilich gibt es darüber, ob Zwischenfälle möglich sind. Die Kriegsrechtskommandeure in Peking wollen dies offenbar nicht ausschließen. Ihre Warnung ist unmißverständlich: „Die konterrevolutionären Rebellen haben ihre Niederlage nicht akzeptiert. Während der Vorbereitungen zum 40. Jahrestag planen sie verbrecherische Aktionen. Unsere Wachsamkeit wird gewährleistet sein.“ Daß die „feindlichen Elemente“ ihre Aktionen nun gerade zur großen Feierstunde planen, ist jedoch unwahrscheinlich.

Die Botschafter der meisten westlichen Länder wollen nicht ganz auf die Teilnahme an den Feierlichkeiten verzichten. Nur der französische Vertreter hat angekündigt, am heutigen Empfang bei Premier Li Peng nicht teilnehmen zu wollen.

Regimekritiker in Hongkong äußerten sich differenziert zum Gründungstag der Volksrepublik. Ein Sprecher des Hongkonger Studentenverbandes (HKFS) betonte gestern, daß der 1. Oktober 1949 ein „stolzer Tag in der Geschichte Chinas sei“. Er warnte vor Vereinfachungen in der chinesischen Geschichtsschreibung. Die KPCh von 1949 sei mit der Partei, so wie sie sich heute darstelle, nicht vergleichbar.