„Tiefflugrepublik Deutschland“

■ Im Bundestag meutert die Opposition gegen das Tiefflugkonzept von Verteidigungsminister Stoltenberg / Von der angekündigten drastischen Reduzierung könne nicht die Rede sein / FDP sieht Sankt Florian

Bonn (ap/taz) - In einer heftigen Debatte im Bundestag wurde Verteidigungsminister Stoltenberg gestern sein neues Tiefflugkonzept von der Opposition um die Ohren gehauen. Der SPD-Abgeordnete Albrecht Müller geißelte einen Verzicht auf die Einstellung von Tiefflügen als fortgesetzte Verletzung des Grundrechts auf Unversehrtheit der Person und sprach von einer „Hölle am Himmel“. Sein Fraktionskollege Dieter Heistermann hielt der Bundesregierung vor, an der „Tiefflugrepublik“ festzuhalten, als ob schon bald Angriffe in feindliches Hinterland geflogen werden müßten. Schutz, Fürsorge und Entlastung der Bürger müßten Vorrang haben vor überzogenen militärischen Forderungen. Für die Grünen sagte Gertrud Schilling, die Bundesrepublik als souveräner Staat und sein Parlament hätten das Recht und die Pflicht, einen sofortigen Tiefflugstopp zu verhängen und auch den Export von Lärm ins Ausland einzustellen.

Der Chef der saarländischen Staatskanzlei, Reinhold Kopp, nannte die Vorschläge Stoltenbergs „enttäuschend“. Von der drastischen Reduzierung der Tiefflüge, wie sie Kanzler Helmut Kohl angekündigt habe, sei nichts übriggeblieben. Das Vorgehen des Ministers sei völlig unakzeptabel für die Länder. Der Bundesrat habe im April eine Entschließung über ein Konzept zurückgestellt, das einen Verzicht auf Tiefflüge überhaupt erlaube, um der Bund-Länder-Kommission Zeit zur Erarbeitung eigener Vorschläge zu lassen. Die Kommission habe bisher erst zweimal getagt und sei seit einem halben Jahr nicht mehr einberufen worden, kritisierte Kopp und stellte die weitere Mitarbeit der Länder unter diesen Umständen in Frage. Auf jeden Fall werde die Entschließung im Bundesrat jetzt wieder aufgegriffen.

Die Bürgerinitiativen gegen Fluglärm sprachen von einer „Mogelpackung der Hardthöhe“ und „Beruhigungsmittel für die Bevölkerung“.

Union und FDP lehnten aus sicherheitspolitischen Gründen ein Tiefflugverbot weiter ab. Stoltenberg hielt SPD und Grünen vor, mit Ausdrücken wie „Tiefflugterror“ Emotionen zu schüren. Mit dem am Vortag präsentierten Konzept, das bei annährend gleicher Flugstundenzahl eine erhebliche Reduzierung der Lärmbelästigung verspricht, sei nicht Schluß. Wenn es bei den Abrüstungsverhandlungen in Wien zu einer 15prozentigen Reduzierung der Kampfflugzeuge komme, würden die Bürger weiter entlastet. Den Vorwurf mangelnder Bereitschaft der Alliierten, Tiefflüge zu verringern, wies er zurück.

Der FDP-Abgeordnete Werner Hoyer rief die Bundesländer, die sich gegen Tiefflüge gesperrt haben, auf, „endlich ihre St. -Florians-Haltung aufzugeben“. Mit den geringeren Fluggeschwindigkeiten komme die Lärmentwicklung in Bereiche, wo „keine Gesundheitsrisiken mehr zu befürchten sind“.