„Die Logistik ist das schwierigste“

■ Vor 20 Jahren eröffnete das ZDF das erste Fernsehstudio in Afrika / Interview mit Gunter Peus

Am 1.Oktober feiert das ZDF-Studio in Nairobi 20.Geburtstag. Mit dem Entschluß, ein Studio aufzubauen, wurde das ZDF zur ersten Fernsehanstalt der Welt, die einen ständigen Korrespondentenplatz in Afrika einrichtete. Die ARD folgte ein Jahr später.

Obwohl das ZDF seine Afrikaberichterstattung durch Einrichtung eines weiteren Korrespondentenplatzes in Johannesburg ausgeweitet hat, ist die personelle Besetzung immer noch dünn. Das Dreimannteam (plus Sekretärin) des Studios in Nairobi ist für Nachrichten aus allen Staaten Schwarzafrikas südlich der Sahara zuständig. Gunter Peus hat das Studio 1969 aufgebaut, war bis 1977 Korrespondent und ist 1988 zurückgekehrt.

taz: 20 Jahre ZDF-Studio in Nairobi. Sie waren der Pionier.

Gunter Peus: Als ich 1969 nach Nairobi kam, gab es noch keinen ständigen Fernsehkorrespondenten in Afrika, von Rundfunk und Presse ja, aber von keinem Fernsehunternehmen. Auch BBC und die großen amerikanischen, NBC und ABC, kamen nur, wenn was Sensationelles zu berichten war, Bürgerkriege oder wenn attraktive Persönlichkeiten auftauchten, wie das Fotomodell, das von Idi Amin zur Außenministerin ernannt wurde.

Warum Kenia, warum Nairobi?

Kenia galt zu dieser Zeit als Musterknabe Afrikas mit einer relativ stabilen Regierung und einem relativ gut ausgebauten Netzwerk von Fluglinien, durch das wir unsere Filmbeutel damals hatten wir ja noch Film und nicht Video - zum Entwickeln zur Zentrale schicken konnten.

Wie haben sich die Arbeitsbedingungen in den Ländern verändert?

Damals bin ich akkreditiert worden und konnte dann über jedes Thema ohne besondere Erlaubnis berichten. Heute werde ich nur für ein Jahr akkreditiert, was sich südafrikanischen Verhältnissen annähert, wo die Kollegen jeweils nur für sechs Monate einen Arbeitserlaubnis bekommen. Dann muß jedes einzelne Thema genehmigt werden, egal, was es ist. In allen Ländern ist es schwieriger geworden, eine Drehgenehmigung zu bekommen. Die Regierungen sind empfindlicher geworden. Dabei hätten sie eine bessere Presse, wenn sie offenere Informationssysteme hätten und die Journalisten nicht zwingen würden, sich was auszudenken oder Quellen zu benutzen, die nicht ganz sicher sind. Die Logistik ist das schwierigste. Ehe man mal dasteht mit der Kamera, hat man schon bis zu 75 Prozent der Arbeit hinter sich, nämlich überhaupt dahin zu kommen, manchmal transportmäßig, aber vor allem wegen der bürokratischen Hürden.

Wie war damals das Interesse an der Afrikaberichterstattung?

Es war ja die Zeit des Umbruchs von der Kolonialzeit in die Unabhängigkeit, und das war mit ein Grund für die Gründung des Studios in Afrika. Die Nachrichtenlage war viel höher als heute. All die Nachrichten, die damals brandaktuell waren, werden heute als abgeschliffen gesehen. Ich als Wiederkömmling mache die Erfahrung, daß, wenn man über dieselben sozialen Probleme, dieselben Bürgerkriege, die damals für das europäische Publikum neu waren, heute berichtet, man auf wenig Aufmerksamkeit stößt. Afrika ist heute im Kontext der Weltnachrichten, mit Ausnahmen wie zur Zeit Namibia, viel niedriger bewertet als damals. Damals jagte ein Ereignis das andere. Für mich ging es mit dem Sturz Nkrumahs in Ghana an, dann der nigerianische Bürgerkrieg, diese Unabhängigkeitswirren, Angola und Mozambik, Kaiser Haile Selassie wurde gestürzt, große Hungersnöte brachen aus, in Äthiopien und im Sudan, Uganda: Wir gehörten zu den ersten Journalisten, die ein Interview mit Idi Amin machen konnten. Ständig waren wir prominent in den Nachrichten mit Rhodesien und Südafrika. Vieles, was ich jetzt genannt habe, setzt sich fort oder wiederholt sich: Angola, Mozambik, Südsudan, Äthiopien. Heute sind Nachrichten schwerer abzusetzen, selbst so ein Ereignis wie die rassistischen Auseinandersetzungen zwischen Senegal und Mauretanien haben nicht das Echo, das sie verdient hätten.

Ist beim Fernsehen wie beim Rundfunk auch eine Tendenz zum Magazin, möglichst kurze knackige Beiträge von einer Minute 30 Sekunden?

Es ist klar, da man bei Berichten aus der Dritten Welt nichts voraussetzen kann. Man muß viel wissen, um möglichst komprimiert etwas erklären zu können. Das Prinzip 1.30 ist schon auf 1.20 geschrumpft. Auch im heute-journal kommt man nicht über Drei- oder Dreieinhalbminutenberichte hinaus. Angola zum Beispiel stand wegen Friedensbemühungen und weitergehendem Bürgerkrieg so hoch im Kurs, und nachdem wir uns ein Jahr um ein Visum bemüht hatten und dann endlich drin waren und uns dann die Swapo plötzlich zu einem Lager eingeladen hat, wo sie ihre Gefangenen freiließ, wäre es nur adäquat gewesen, wenn wir einen 45-Minuten-Termin bekommen hätten. Einer war noch frei in der Planung. Der mußte dann aber für die Chinaereignisse reserviert werden. Was macht man: nur zwei Beiträge fürs Auslandsjournal von acht und zehn Minuten.

Sie sind für alle Länder südlich der Sahara zuständig, ausgenommen Südafrika. Ein Mann für über 40 Länder? Viel unterwegs, ständig neue Themen, andere Länder. Wie verkraftet man das inhaltlich und privat?

Ich habe nachgerechnet, daß ich im letzten Jahr sieben Monaten unterwegs war. Eine Woche im Studio, da wird die vorherige Reise abgerechnet, der Bericht getextet, die nächste Reise parallel vorbereitet, da kommt die Familie auf jeden Fall zu kurz - das bleibt ein Konflikt. Das schnelle inhaltliche Umstellen - das lernt man. Man lernt auch, mit ungewöhnlichen Situationen fertigzuwerden, man stellt sich neben sich beispielsweise in Bürgerkriegssituationen, wo die Menschlichkeit angebracht ist, wenn man da zuviel mitleidet, würde man den Beruf nicht ausüben können, das heißt man ist ständig gezwungen, über seine eigenen Emotionen hinwegzugehen.

Was war 1969 der Grund für Sie, Afrikakorrespondent zu werden?

Einer meiner ersten Aufträge in Afrika, bevor ich nach Nairobi kam, waren die Mammies, die Marktköniginnen von Nigeria. Das war damals noch schwarzweiß. Mit dieser Dokumentation bin ich in das typische und noch sehr ursprüngliche Afrika geworfen worden. Diese Analphabetinnen beherrschten damals als Großhändler große Bereiche des Markts, sie importierten von englischen Firmen sogar Lastwagen und Zement, saßen aber sehr beleibt noch in ihrem Stand auf dem Markt und verkauften Textilien und Mehl, waren superreich, dauernd dabei, eine ganze Mannschaft von Angestellten zu dirigieren in all diesem Gewühl - das war also ein ganz intensiver Afrikaeindruck. Da hat wohl eine Rolle gespielt, daß ich ich mich dann weiter spezialisiert habe, nicht wie viele Kollegen, die sich 'ne Landkarte nehmen und sagen, ach, da bin ich noch nicht gewesen, mal sehen, ob es da nicht ein gutes Thema gibt.

Dann kam dazu, daß ich mich für afrikanische Kunst sehr interessiert habe. Ich hab‘ mir ein paar Stücke gekauft, dann ist das eine Art Pflicht geworden, als die Museen sich dafür interessiert haben, dann kam die Methodik dazu, und schließlich mußten Lücken gefüllt werden - inzwischen ist daraus die größte Sammlung zeitgenössischer afrikanischer Kunst entstanden, so an die 1.000 Bilder und an die 1.000 Skulpturen, die sind zum Teil in Hamburg gelagert, zum Teil im Überseemuseum in Bremen.

Dann war die Kunst wohl auch ein Grund für Ihre Rückkehr?

Nein, ich bin zurückgekommen, weil ich mich auf dem Gebiet der Afrikaberichterstattung sicher fühlte. Da kam auch noch Emotionales hinzu: die immer noch reinere Luft, die immer noch weitere Landschaft, Dinge, die man nicht so genau erklären kann, das andere Verhalten der einfachen Menschen. In Afrika kann man noch lachen, da hat man noch Echo - eine ganz andere mitmenschliche Art.

Was war ihr befriedigenstes Arbeitserlebnis in der ganzen Zeit?

Das befriedigenste war, daß man aus dem nigerianischen Bürgerkrieg heil herausgekommen ist und mit einem guten Ergebnis. Man war fast jede Woche auf dem Schirm mit den Dingen, die eigentlich fernsehgemäß sind, mit Bildern, die für sich alleine sprechen, wo man gar nicht mehr mehr viel zu kommentieren braucht. Da ist man ja auch dauernd mit sich selbst im unreinen und fragt sich, ob man die Kamera auf das, was sich da gerade abspielt, draufhält oder nicht. Zum Beispiel waren wir bei den ersten Journalisten, die nach Biafra eingeflogen wurden, und da passierten überall am Straßenrand noch Dinge wie im 30jährigen Krieg. Wir saßen auf einem offenen Lastwagen, und da sah ich, wie eine Gruppe von Soldaten einem die Schlinge um den Hals gelegt hatten und zuzogen. Wir sind mit der Kamera runtergesprungen, ich hab‘ geschrien: Hör auf mit dem Quatsch, und in der Verwirrung haben die abgelassen. Aber um's ihm dann noch zu zeigen, nahm einer seine Pistole und schoß dem in den Soldatenstiefel rein, der schrie, das Blut spritzte. Diese Aufnahmen waren ein typisches Beispiel für diese ganzen Wirren. Hinterher weiß man nicht, soll man darüber froh sein, aber im Hinterkopf ist das Gefühl: Da sind wir gerade noch mal davongekommen.

Was war die größte Enttäuschung?

Das enttäuschendste ist die Erfahrung, daß Afrika einen ungeheuren Aderlaß erlebt, daß Politiker von einem Attentäter beseitigt werden, Leute, die ich kennengelernt habe und von denen ich der Überzeugung bin, daß sie ihrem Land sehr hätten nutzen können: von Tom Mboya, einem fähigen Minister der Kenyatta-Regierung bis Thomas Sankara von Burkina Faso. Ständig muß man erleben, daß Gesprächspartner nicht mehr existieren. Der Tierschützer Adamson, der jetzt erschossen worden ist - damals habe ich einen Bericht für die Drehscheibe angefordert, das Interview mit ihm direkt neben dem Löwen zu machen.

Werden es diesmal wieder neun Jahre in Nairobi?

Das war die längste Zeit, die je ein ZDF-Korrespondent im Ausland war. Nein, nicht noch mal, da würde die Familie nicht mitmachen.

Interview: Christ Wichterich