Antipanikkeule

Werden Fußballfans künftig chemisch ruhiggestellt?  ■  PRESS-SCHLAG

Das Bonner Innenministerium hat zusammen mit dem Forschungsministerium eine mehrjährige Studie in Auftrag gegeben, die den Einsatz von Psychopharmaka gegen Katastrophenpanik untersuchen soll. An den Fall eines Krieges habe man dabei nicht gedacht, heißt es vorsorglich, sondern beispielsweise an „Panikereignisse in Fußballstadien“. Über eine konkrete Anwendung sei noch nicht entschieden.

So könnte demnach die Sportschau 1995 aussehen: „Guten Tag, meine Damen und Herren, das Volksparkstadion ist heute nahezu ausverkauft. Der Rasen ist in ausgezeichnetem Zustand und die Stimmung der Zuschauer gewissermaßen gelöst bis heiter. Vorbei die Zeiten, als bei solch aufregenden Spitzenbegegnungen Tote und Verletzte befürchtet werden mußten. Sie erinnern sich vielleicht noch an die unschönen Szenen, die es vor einigen Jahren in Brüssel und Sheffield gab.

Noch bevor es in deutschen Stadien zu ähnlichen Katastrophen kommen konnte, ergriff ja die Bundesregierung erste Maßnahmen, indem sie zunächst auf alle Eintrittskarten einen Vermerk des Bundesgesundheitsministers drucken ließ. Der Hinweis, der Besuch von Fußballveranstaltungen sei eventuell gesundheitsgefährdend, zeigte nicht den erwünschten Erfolg, so daß man - in Zusammenarbeit mit dem DFB - zu härteren Maßnahmen greifen mußte.

Seitdem nun allen Fans am Stadioneingang ein stimmungsstabilisierendes Spezialpräparat verabreicht wird, geht der Begriff 'Schlachtenbummler‘ mittlerweile völlig an der Wirklichkeit vorbei. Daß durch den stark beruhigenden Effekt auf die Fans Jubel und Getöse nunmehr vom Tonband eingespielt werden, dies, liebe Zuschauer, ist ein Tribut, den wir alle sicher gern zollen.“

Und die Vergangenheit? Wir erinnern uns, daß in den 70er und 80er Jahren die Umsatzkurven der Psychopharmakaunternehmen steil nach oben gingen: Bereits im Jahre 1980 erhielten bundesdeutsche Kinder bis zu elf Jahren fast eine Million Rezepte über Beruhigungsmittel (vor allem, um besser lernen zu können). Der Gesamtbevölkerung wurden im Jahr etwa 200 Millionen Mal Psychopharmaka verschrieben, pro Kopf, Säuglinge und Greise mitgerechnet, mindestes drei Verordnungen im Jahr. Da war also eine Sättigungsgrenze zu befürchten und die Suche nach neuen Absatzmöglichkeiten dringend.

Welches Unternehmen als erstes auf den potentiellen Markt „Panikprophylaxe“ kam, ist nicht an die Öffentlichkeit gedrungen. Wahrscheinlich wurde jedoch einfach die Idee des Schriftstellers Aldous Huxley wiederaufbereitet, in dessen Roman Schöne, neue Welt - einem großen Werk des neuzeitlichen Realismus - dem Volk durch tägliches Verabreichen von „SOMA“ dauerhafte Gemütsruhe verschafft wird.

Bis zu einer solch umfassenden chemotherapeutischen Befriedung ist es natürlich noch ein Stück Wegs, aber der Einsatz der Antipanikkeule muß ja nicht auf Fußballstadien begrenzt sein. Erste Testreihen könnten im Winterschlußverkauf und zum nächsten Ferienbeginn (Staus ab 30 Kilometer Länge) gestartet werden.

Peter Tomuscheit