Littibarski trickst Fohlis ins Tief

Bor. Mönchengladbach, Nostalgieklub ohne Gegenwart, unterliegt dem 1. FC Köln 0:2 und hofft auf Bo-Russen  ■  Vom Bökelberg Berni Müllender

Nachher waren alle begeistert: ein tolles Spiel, sehr telegen, mit vielen Chancen nach Kombinationen, die man rassig nennt. Ganz in der Tradition so vieler begeisternder Begegnungen zwischen der Borussia und dem FC. Vergessen war vor allem die mehr als fahrige erste Halbzeit, als nach engagiertem Beginn (mit energischer Grätschlust) schnell Sicherheitsfußball dominierte. Bloß kein Rückstand. Im Zweifelsfall lieber nach hinten. Typisch dafür war der Auftritt des Krummbeinigen: Pierre („Litti“) Littbarski, ohne Wirkung vor der Pause, hatte schon nach fünf Minuten dreimal das Lederding fahrlässig verfummelt. Später sollte er zu großer Form auflaufen und das Match vor immerhin 27.000 fast allein entscheiden.

Lange hatte Littibarski den zehn Kollegen vergeblich mit dem dickbandagierten Arm gedeutet, wo es hinzugehen habe: hier lang, da hin, dortwegs. Auf einmal akzeptierten sie den Leder-Napoleon als Regisseur und Strategen. Bananiger als Kaltz zwirbelt er mit dem Außenrist Eckbälle herein, daß man Angst haben muß, er wird seine Beine nachher nicht mehr richtig ordnen können, aus dem Stand lupft er dem völlig verdutzten Spies den Ball durch die Beine, dreht Pirouetten, tanzt mit sich selbst, vergißt auch den Defensiveinsatz nicht mehr, grätscht und sprintet und gewinnt sogar Kopfballduelle. Und wird zum Matchwinner: Nach Häßlers Klassezuspiel umkurvt er den voreilig herausgelaufenen Kamps wie einen Anfänger, paßt quer, und Götz, der frühe Spätaussiedler, braucht nur noch einzuschieben (63.).

Einen Freistoß aus dem Stand säbelt Littibarski an den Pfosten und hämmert schließlich eine weite Flanke nach Ordenewitzens erster Ballberührung in der 78. Minute volley ins Netz. Welch ein Glück, daß die Stadionzeitung so unrecht hatte. Dort war vorher zu lesen: „L i t t i w ä c h s t m e h r u n d m e h r m i t Häßlerzusammen.“ Als zwei getrennte Spieler sind Kölns kurze Künstler viel effektiver.

„Köln hatte einen Littbarski, wir nicht“, erkannte später VfL-Trainer Werner die einfache Erklärung für die angeblich „sehr unglückliche Niederlage“. Werner vergaß, wie sehr Borussia im Würgegriff der Zeiten steckt. Der Verein schleppt schwer an seiner ruhmreichen Geschichte. Die kleine Niederrheinstadt lebt von nostalgischen Namen wie Netzer natürlich, Rupp, Jensen, einem Heynckes im Leibchen statt im neumodischen Trainerzwirn, von Flitzern wie Del'Haye und besonders Alan Simonsen. Heute wirbt ein fußballfremder Fachwerker namens Simons mit dem Spruch „Erst wird gestürmt, dann wird gemauert“.

Nicht, daß Borussia 89 stürmen nicht wollte, allein es fehlt am bundesligatauglichem Können: Was sollen Leute von heute wie Winter, Lange, Stefes, Max und Budde schon ausrichten? Eine Gegenwart im Sturm findet so gut wie nicht statt: Einzig Criens, ansonsten von Kölns Vorstopper Anders Giske abgemeldet, kämpfte sich ein einzig Mal durch, scheiterte aber an Illgner. Und alle anderen, besonders Spies, schossen prinzipiell genau in die Mitte, als gäbe es keinen Illgner, oder sie scheiterten schon bei Flankenversuchen an Kölns routinierten Recken im Strafraumgeviert.

Es war, als wollte sich Uwe Rahn, einst Gladbachs begnadet bewadete Garantie für Tore wie am Fließband, bei seinem ersten Auftritt in der alten Heimstatt nach dem Wechsel zum FC diesem Stil anpassen: langsam im versammelten Trab, immer den Rückpaß, ohne jede Torgefährlichkeit. Das Fohlen ist ein betagter Gaul geworden.

Kaum hatte der Schiedsrichter abgepfiffen, spielte der Stadionsprecher zum Troste auf: Don't worry, be happy. Wieder kein Tor (zum sechstenmal in elf Spielen, davon fünf 0:0). Der Mikromann bat darum, man möge doch nicht so sehr enttäuscht sein und am Freitag, den 13.Oktober wieder vorbeischauen, da werde der nächste Versuch laufen, das Tor des Gegners zu treffen: gegen den HSV. Dann soll endlich und endgültig Igor Belanow von Dynamo Kiew zum Borussen werden. Alle Hoffnung liegt in dieser östlichen Zukunft. Schon seit Wochen wehen rote Sowjetfahnen mit Hammer und Sichel durchs Stadion. Spieltäglich werden es mehr, gegen Köln waren es schon gut zwei Dutzend. Da kommt auch Borodjuks Schalke 05 nicht mehr mit.

Für das fast 30jährige Altfohlen verläßt der Klub sogar seine sonst so betulichen, ruhigen Wege und macht auf große Show. „Die 'Westdeutsche Zeitung‘ und Borussia präsentieren den sowjetischen Stürmerstar“, schallte es mehrfach ins Rund. Nächsten Freitag möge man vorbeischauen, da habe Igor „seinen ersten großen Auftritt vor großem Publikum“, Schauplatz Fußgängerzone, garniert mit so ausgefallenen Ideen wie „Torwandschießen und Bierpavillon“. Welch sportlicher Einstand. Nasdarowje Igor, neuer Bo-Russe!

MÖNCHENGLADBACH: Kamps - Bruns - Klinkert, Eichin - Lange (64. Winter), Effenberg, Neun, Spies, Stefes - Budde (71. Max), Criens

KÖLN: Illgner - Steiner - Higl, Giske - Drehsen (56. Greiner), Häßler, Littbarski, Rahn, Görtz - Götz, Sturm (78. Ordenewitz)