Flammender Russe, teuflischer Iwan

■ Umgestaltung in der National Hockey League: „The Great One“ Wayne Gretzky bekommt Konkurrenz / Gleich 8 UdSSR-Eishockeystars in die nordamerikanische Profiliga gewechselt

Calgary/Edmonton (taz) - Sportfreunde eiligen Schritts in eine Richtung - das spricht für ein Großereignis. Sie gehen Richtung Sportpark, wo sich eine kühne rot-silberne Hallenkonstruktion in den Abend reckt. Doch der Saddledome, dieses Gigantikum von Eishockeystadion mit gut 20.000 Plätzen, hat geschlossen. Wegen Aufräumarbeiten, Gefrierübungen oder sonst was. Eigentlich müßten hier längst die Flammen übers Eis lodern, doch die Calgary Flames, 1989 Sieger des legendären nordamerikanischen Stanley Cups, bereiten sich in diesem Jahr in der CSSR und der UdSSR auf die neue Saison der National Hockey League (NHL) vor. Da wird der Olympiaeispalast noch nicht gebraucht. Die Sportfans gehen zu irgendeinem Pferderennen gleich nebenan in die Arena, wo im Juli immer die westernnostalgelnde Tierquälerei namens Calgary Stampede stattfindet. Pferdeäpfel statt Cross-checks - welche Enttäuschung.

Anlaß für das ferne Trainingscamp der Eishockeyflammen ist vor allem Sergeij Makarow. Der Superstar des sowjetischen Weltmeisterteams kurvt ab sofort in Calgary, und da ist die ferne Saisonvorbereitung so etwas wie Dankbezeugung und Ablöse in einem. Die Euphorie beim Titelverteidiger ist entsprechend. Eine erste Niederlage gegen die Nationalcracks der CSSR mit 1:4 wurde wenige Tage danach von durchaus seriösen kanadischen Zeitungen mit rührenden Geschichten aus Leningrad ausgeglichen: von den sowjetischen Fans, die tränengerührt den verlorenen Sohn empfingen und die Reporter baten, dem armen Torjäger zu helfen, Kanada sei ihm doch so fremd. „Ich bin jetzt der verrückteste Flames-Fan“, schluchzt Radmilla, und auch der große Sergeij gibt sich innerlich zerrissen: Bei den Calgary Flames zu scoren sei „das Größte“, aber „gegen meine eigenen Leute zu spielen ist nicht gerade eine normale Situation“.

Gleich acht der alleredelsten SU-Kufenkünstler heuerten heuer in Amerika an: Neben Makarow sind dies Larionow und Krutow bei den Vancouver Canucks, Torwart Mylnikow in Quebec sowie vor allem die rauhen Defencemen Starikow und der aufmüpfige Fetisow bei den New Jersey Devils. Sergeij Priakin hatte schon, als Vorkoster von West-Eis, vor einigen Monaten das rote Flammen-Shirt in Calgary angezogen. Nachdem die NHL-Klubs schon seit Jahren erfolglos beim noch prä perestroikasken sowjetischen Verband um Spieler gebeten hatten, brach Alexander Mogilny, 20jähriger Nachwuchscrack, das Eis, als er sich im Mai absetzte und bei den Buffalo Sabres aufs Eis ging (was Viktor Tichonow, der vorgestrige SU-Coach, „ekelhaft“ fand).

Eine neue Zeitrechnung habe begonnen, jubeln die Fans erwartungsfroh. Kritische Stimmen haben es da schwer: Sie fragen, ob sich die zum Teil gealterten Superstars mit der amerikanischen Härte und den kleineren Eisovals zurechtfinden werden. Andere mosern, kofferweise harte Dollars an Ablösesummen würden den sowjetischen Eishockeysport finanzieren, was sich bei der nächsten WM wieder bitter rächen werde. Zudem nähmen die Russen, fürchten Spieler aus den diversen vierten und fünften Stürmen, ihnen bald die Arbeitsplätze weg. „Als die ersten Schweden und Finnen gekommen sind“, sagt Jim Schoenfeld, Coach des Teufelsklubs von Fetisow und Starikow, habe man die gleichen dummen Argumente gehört. „Wir sind die stärkste Liga der Welt“, darum - logo - müßten hier auch „die stärksten Spieler der Welt mitmachen“. Und Sprachprobleme? Schoenfeld pragmatisch: „Ich will den beiden nicht die große englischsprachige Literatur beibringen; Paß, Schuß und Tor werden sie schnell verstehen.“

The Great One

Wayne Gretzky, bislang der unumstrittene Hyperstar mit der 99 hinten, bekommt Konkurrenz. Die erste Saison von „The Great One“ bei den Los Angeles Kings, wohin er vor einem Jahr skandalumwittert von den Edmonton Oilers gewechselt war, war nicht seine beste. Die kalifornischen Könige waren im Halbfinale in den Flammen des Saddledomes verbrannt worden. In der Scorer-Wertung lag er mit 168 Punkten weit hinter Mario Lemieux mit 199.

Seine VerehrerInnen sehen mit Entsetzen, wie sich der Mann aus dem rauhen kanadischen Edmonton nunmehr mit Glamourstars wie Jack Nicholson und Michael Jackson oder der Boxernase des Mike Tyson umgibt, sogar selbst schauspielert. Als Gretzky jedoch Anfang September zur verspäteten Abschiedsfeier nach Edmonton zurückkehrte, feierten ihn 14.000 Öler-Fans im überfüllten Coliseum wie ehedem. Dem „Kampfverband der Huldiger Wayne Gretzkys“ waren über 300 teils monströse Trophäenkonstruktionen und Denkmalklötze zugegangen. Man entschied sich für eine sehr schlichte doppeltlebendgroße bronzene Wayne-Statue mit Cup. Gewicht: eine halbe Tonne. Megamann Gretzky erklärte sich „ein wenig verlegen“. Seine Tore wird er auch 89/90 gegen die Oilers schießen.

Favoriten der tierisch-martialischen Eisgesellschaft der Flammen, Säbel, Teufel, Bären, Pinguine und Waljäger sind neben Gretzkys königlichen Puckschlenzern allesamt kanadische Teams: die aus Vancouver, Edmonton, Montreal und vor allem aus dem Makarow-verstärkten Calgary, dessen Saddledome komplett mit Dauerkarten ausverkauft ist. Am vergangenen Freitag haben sie losgelegt, im Zweitagerhythmus läuft „The big show“ mit bis zu 101 Spielen bis Mitte Mai so lang, daß bei der WM im April Cracks wie Gretzky wieder nicht dabeisein werden.

Und auch auf der Mattscheibe wird vom wahren Eishockey, wie gehabt, kaum etwas zu sehen sein, schon gar nicht in der ersten Fernsehreihe. Hier gilt das Interesse, genauso wie gehabt, diversen SCs, EVs, EGs, ERCs etc. Obwohl da auch neue vorgebliche Topstars aus der NHL aufgekreuzt sind. Doch weder die Herren Donnelly (Landshut), Berry (München) oder Schreiber (Schwenningen) waren im vergangenen Jahr Stammspieler. Und der tschechische Exnationale Miroslaw Frycer, von den Edmonton Oilers zum EHC Freiburg gewechselt und dort schon als Sensation vorab gefeiert, war in Kanada ein Bankdrücker ohne einen einzigen Einsatz in den Play -offs.

Für einen Schwarzwald-Gretzky könnte es beim Niveau der deutschen Liga trotzdem reichen.

Bernd Müllender