Blumen und Stacheldraht

■ Das Elend mit dem „Flüchtlingselend“

Wahrscheinlich hat es ohnehin wieder niemand gemerkt: Am Samstag war der „Tag des Flüchtlings“ - ein Tag, mit dem Kirchen, Gewerkschaften und der Hohe Flüchtlingskommissar auf die immer schwierigere Lage der rund 15 Millionen Flüchtlinge dieser Welt aufmerksam machen wollen. Öffentliches Interesse für Flüchtlingsbelange zu wecken ist ein mühsames Unterfangen und wird paradoxerweise gerade jetzt schwierig, wo so viel von Flüchtlingen die Rede ist wie schon seit Jahren nicht mehr. Gerade deswegen möchte man dieser Tage den Zeitungsschreibern, Politikern und Fernsehmoderatoren das Wort Flüchtling zumindest in den Wortkombinationen „Flüchtlingselend“ oder „Flüchtlingsdrama“ am liebsten aus den Mikrofonen und Schreibmaschinen streichen. Denn in dem Zusammenhang, in dem diese Begriffe zur Zeit gebraucht werden, sind sie eine zynische Verhöhnung für all die, auf die sie wirklich zutreffen.

Sicher, die Bedingungen für die DDR-Ausreiser in der überfüllten Prager Botschaft waren nicht angenehm. Aber die Menschen dort hatten immerhin ein Dach über dem Kopf, sie waren gut gekleidet und wurden rundum mit Essen und medizinischer Hilfe versorgt. Und sie konnten angesichts der großen Medienöffentlichkeit und ihres eigenen politischen Faustpfands sicher sein, daß diese Situation bald beendet sein würde. Wer das als Flüchtlingselend bezeichnet, verniedlicht die Schicksale all der Menschen, deren Flucht ein existenzielles Drama ist. Für Millionen Menschen sind Enge, Kälte und schlaflose Nächte, wie sie die DDR-Ausreiser jetzt im Scheinwerferlicht der fürsorglichen Fernsehkameras für einige Tage in Kauf nehmen, jahrelange Fluchterfahrung.

Anders als die DDR-Ausreiser mit der eingebauten Versorgungs- und Aufnahmegarantie begeben sich Tausende von Asylsuchenden wochen- und monatelang auf die Flucht, um dann bei der Ankunft an den bundesdeutschen Grenzen den amtlichen Bescheid zu bekommen, daß der Luxusliner Bundesrepublik leider voll ist. Daß plötzlich, wo die DDR-BürgerInnen anklopfen, sogar noch Kabinen mit Arbeitsplatzgarantie und Sozialversorgung auf ihre Belegung warten, hätte eine Chance sein können, über die „Grenzen der Belastbarkeit“ nachzudenken. Aber diese Chance verkehrt sich vor allem für Flüchtlinge aus der Dritten Welt derzeit ins Gegenteil. Sie verschwinden im Schatten des großen „D“, das die anderen, die man täglich im Fernsehen bestaunen kann, auf ihren schicken Jeans-Jacken tragen.

Vera Gaserow