Gefangene fühlen sich total verarscht

■ Insassenvertreter der JVA Tegel prangern „menschenunwürdige Zustände“ im Knast an / Rot-grüner Senat hat nichts verändert, eher im Gegenteil / Die Rate der HIV-Infizierten „explodiert, und keiner hält sie auf“ / Anstaltskost ist nach wie vor „Schweinefraß“

„Justizsenatorin Limbach hat gesagt, vor den Mauern Tegels wird nicht haltgemacht. Bis jetzt ist bei uns davon nichts angekommen, eher im Gegenteil.“ Mit diesen Sätzen brachten gestern die Tegeler Gefangenen und Insassenvertreter des Hauses III, JÜrgen Kettmarker und Roland Buck, die Situation in Berlins größtem Männerknast seit der rot-grünen Wende auf den Punkt. Bereits Anfang September hatte die Tegeler Gesamtinsassenvertretung der Senatsverwaltung für Justiz ein umfassendes Papier zur Neustrukturierung der Haftanstalten sowie einen Entwurf zur Neufassung der Ausführungsvorschriften zum Strafvollzugsgesetz vorgelegt, eine Antwort auf die in wochenlanger Arbeit entwickelten Vorschläge steht bis heute aus. „Dabei haben wir wirklich versucht, konstruktiv zu arbeiten, und keine utopischen Forderungen gestellt“, betonte der Sprecher der Tegeler Gesamtinsassenvertretung (GIV) Hans-Werner Baum, mit dem die taz gestern im Haftkrankenhaus Moabit sprach.

Die Hoffnung auf eine Verbesserung der Haftsituation, die viele Gefangene nach der Wahl unverhohlen geäußert hatten, ist inzwischen einer Mischung aus Enttäuschung und Wut gewichen, „von denen da oben nur verarscht zu werden“. Dazu ein aktuelles Beispiel: Im Juni hatten die Insassen der Häuser II und III durch tagelange Arbeitsverweigerung längere Auf- und Umschlußzeiten durchgesetzt. Dazu gehörte auch die Regelung, wochentags von 17.15 bis 18 Uhr und am Wochenende zwischen 14.20 und 16.20 Uhr auf den Freistundenhof gelassen zu werden. Jetzt konnten die Gefangenen einem Aushang am schwarzen Brett von Teilanstaltsleiter Müller entnehmen, daß es sich bei der Regelung nur um eine „zusätzliche Sommerfreistunde“ gehandelt habe, die mit Ende der Sommerzeit abgelaufen ist. Einzig an den Wochenenden dürften die Gefangenen aufgrund des „außerordentlich schönen Spätsommers“ noch bis zum 8. Oktober länger nach draußen.

In einer langen Liste - die an dieser Stelle nur angerissen werden kann - prangerten Kettmarker, Buck und Baum gestern die Zustände im Knast unter dem rot-grünen Senat an: Die Rate von HIV-Infzierten Gefangenen „explodiert, und keiner hält sie auf“. Der Grund ist allerdings schon lange bekannt: Rund 800 „User“ im Knast benutzen oftmals zu fünfzehnt ein und dieselbe „Pumpe“. Abhilfe kann nur durch die von der Aids-Hilfe schon lange geforderte Herausgabe von Spritzbestecken und Desinfektionsmitteln - „aber ohne Aufsicht und Registrierung“ (Baum) - geschaffen werden. Nach wie vor „menschenunwürdig“ sei auch die ärztliche Versorgung: Man sei einem halbausgebildeten Sanitätspersonal ausgeliefert, das nach eigenem Gutdünken die Anweisungen der Ärzte (nicht) befolge.

Nichts geändert habe sich auch an der nur als „Schweinefraß“ zu bezeichnenden Anstaltskost: kein Frischgemüse, kaum Obst und „ständig die gleiche Sauce“. Das „Frühstück“ sehe nach wie vor so aus, daß abends ein halbes Weißbrot verteilt werde, einmal pro Woche ein Pott Margarine und alle 20 Tage ein Topf Marmelade, Kaffee müsse selbst gekauft werden. In den Häusern II und III gebe es immer noch keine Steckdosen, und die Sanitätsanlagen seien „unter aller Sau“. Damit solle aber nicht davon abgelenkt werden, daß diese beiden Häuser - „im Vergleich dazu herrscht in den übrigen Häusern Hotelvollzug“ - endlich geschlossen gehörten.

plu