Hermelinsozialist für Aachen

Die öffentliche Stimmauszählung im Aachener Rathaus hat ihre eigene Dramaturgie. Traditionell laufen zuerst die Zahlen aus CDU-schwachen Bezirken ein. Dann, im Endspurt, ist die Lage bei vergangenen Wahlen immer gekippt. So schien es auch diesmal: grüne Einzelresultate nahe 20 Prozent, schwere Einbrüche für die CDU, dann die Aufholjagd.

Doch diesmal blieb die Wende aus. Die REPs waren draußen (4,4 Prozent), und die neue Mehrheit tatsächlich rot-grün mit 30 zu 29 Sitzen. Die FDP kam zwar knapp über die Fünfprozenthürde, doch die CDU verlor satte 8,5 Prozent von 49,2 auf 40,7.

Ein Debakel im schier ewigen Erbhof, wo sie de facto seit 45 Jahren ununterbrochen regiert - so lange wie nirgends in der BRD: Schon im Oktober 1944 hatten die Amerikaner in der soeben befreiten Stadt einen konservativen Katholiken als OB installiert. Neben Aachen kippte nur noch eine der rechten Bastionen im größten Bundesland: In Krefeld, seit 28 Jahren ununterbrochen CDU-regiert, muß Dieter Pützhofen, einst als „Kennedy vom Niederrhein“ gefeiert, die Amtskette abgeben.

In Aachen hatte die CDU, den Machtverlust vor Augen, im Wahlkampf ihre Inhaltsarmut mit Schmutz auszugleichen versucht. Die „Aachener Bank“, dem Genossenschaftsverband zugehörig, wurde eingespannt und forderte ihre MitarbeiterInnen in einem Rundbrief unverhohlen zur CDU-Wahl auf, damit OB Malangre sein Aufsichtsratsmandat behalte und die Geldmenschen von einem Sozi verschont blieben. Und im Stadtteil Eilendorf schäumte der CDU-Kandidat gegen die Grünen - sie würden „Schwulen und Lesben das Wort reden“ und „diese Lebensform hof fähig machen“. Homosexuelle CDUler könne er sich nicht vorstellen: Wenn einer „öffentlich herumknutscht, würde ich ihn jedenfalls nicht aufnehmen“. Gegen solcherlei Hetze stieg sogar der Ortspfarrer auf die Kanzel. Der Schwulenhasser bekam prompt die Quittung: über 10 Prozent Verlust, Direktmandat futsch und mangels Listenplatz ganz raus aus dem Rat.

Die Aachener Sozialdemokraten feierten diesen Sonntag als „historischen Tag, auf den die SPD seit Generationen hingearbeitet hat“, bei den Grünen hielt sich der Jubel in Grenzen: Ihr Stimmenzuwachs von 10,1 auf 10,9 Prozent war eher spärlich.

Für ihre Feier hatten sie eine Kneipe mit dem symbolträchtigen Namen „Labyrinth“ gewählt. Schließlich warten auf Rot-Grün genügend Sackgassen: Müllverbrennungsanlage, dicke Straßenbauprojekte, Aachen als High-Tech-Oberzentrum mit neuen Gewerbegebieten und Industrie. Bei den Koalitionsverhandlungen wird es vor allem um Öko(nomie)rot gegen Öko(logie)grün gehen. Und dann soll SPD-Mann Jürgen Linden, ein Jungjurist zwischen smart und aalglatt, der parteiintern „unser Hermelinsozialist“ genannt wird, zum OB gewählt werden.

Bernd Müllender