UdSSR kokettiert mit dem Kapitalismus

■ Sowjetregierung fordert Streikverbot für 15 Monate / Gleichzeitig Debatte über Einführung einer „sozialistischen Marktwirtschaft“ / Kompromiß um Bodenschätze mit den einzelnen Republiken

Moskau (afp) - Der erste Vizeministerpräsident der UdSSR, Lew Woronin, hat am Montag im Obersten Sowjet den Antrag gestellt, Streiks in der Sowjetunion für die kommenden 15 Monate zu untersagen. Im Rahmen der Maßnahmen zur Besserung der Wirtschaftslage forderte Woronin von den Parlamentsabgeordneten das Verbot „von Arbeitsniederlegungen in allen Betrieben, die darauf zielen, die Produktionskapazität herabzusetzen“. Diese Sondermaßnahme solle rückwirkend ab 1.Oktober gelten. Das sowjetische Parlament diskutierte fünf Gesetzesvorhaben zur Einführung einer „sozialistischen Marktwirtschaft“ in der UdSSR. Die Gesetzesentwürfe waren bereits im Vorfeld der Debatte von radikalen Reformern als nicht weitreichend genug kritisiert worden. Sie betreffen das Eigentum in der UdSSR, Grundlagen des Bodenrechts, das Miet- und Steuerrecht und „den sozialistischen Betrieb“. Ministerpräsident Ryschkow ermahnte die radikalen Reformer zu mehr Realismus. Er forderte sie auf, die Realität in der UdSSR zu berücksichtigen, die gekennzeichnet sei durch den Mangel an Konsumgütern, eine finanzielles Ungleichgewicht, die Monopolisierung, das Problem der Schattenwirtschaft und Korruption. Der Gesetzesvorschlag zum Eigentum sieht vor allem bei Staatsbesitz genossenschaftliches Eigentum und Eigentum per Teilhaberschaft vor. Außerdem beinhaltet er „Eigentum von Bürgern unter Ausschluß der Ausbeutung“, das Wort „Privateigentum“ wird dabei vermieden. Außerdem sollen in der Sowjetunion künftig die Republiken und die Union gemeinsame Eigentümer des Landes, der Bodenschätze, der Wälder und der Gewässer sein. Dieser Vorschlag ist offenbar als Kompromiß für die baltischen Republiken gedacht, deren Oberste Sowjets kürzlich ihre Ressourcen zu alleinigem Eigentum der jeweiligen Republik erklärt hatten. Ryschkow betonte, das neue Modell der „sozialistischen Marktwirtschaft“ setze die Respektierung der Gesetze und politische Stabilität , vor allem zwischen den verschiedenen Volksgrupppen, voraus. Es schließe eine Rückkehr zu Streiks und anderen Pressionen zur Lösung von Problemen in einem Rechtsstaat aus. Zudem bedürfe es einer starken Regierung, um die grundlegenden Veränderungen in die Wege zu leiten, sagte Ryschkow. „Wir sind der Tyrannei entkommen, das Nicht -Respektieren des Gesetzes ist jedoch die Norm geblieben“, kritisierte Ryschkow.