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Hommage an einen „Einsamen und einzelnen“

■ Zur Rede von Heinrich Albertz bei der Feierstunde des Berliner Senats oder: Die Schwierigkeiten bei der Würdigung eines streitbaren Publizisten im Osten wie im Westen / Gedenkstunde zum 100. Geburtstag von Carl von Ossietzkys

Gestern, am 3. Oktober, wäre er hundert Jahre alt geworden. Anlaß für den Berliner Senat, in der Staatsbibliothek in einer offiziellen Feierstunde des unbequemen Journalisten und Pazifisten Carl von Ossietzky zu gedenken. Und natürlich wurden, wie sich das für einen solchen Anlaß geziemt, Reden gehalten, vom amtierenden und einem ehemaligen Regierenden Bürgermeister von Berlin, von Walter Momper und Heinrich Albertz.

Ein Jubiläum wie tausend andere in diesen jubiläumswütigen Zeiten? Ja - hätte es nicht die Rede von Albertz gegeben, der nicht davor zurückschreckte, unbequeme Fragen zu formulieren und noch unbequemere aktuelle Bezüge herzustellen. Grund für die taz, Auszüge seiner Rede zu dokumentieren und an Ossietzky zu erinnern - auch auf die Gefahr hin, damit einem Mechanismus zu verfallen, den Peter Sloterdijk zu Recht für die gesamte Weimarer Republik konstatierte:

Im Nachkriegsdeutschland Ost wie West tut man sich schwer mit der Erinnerung an den unerbittlichen Republikaner, der 1924 erfolglos versuchte, eine Partei unter diesem Namen zu gründen - ist es noch Ironie der Geschichte zu nennen, daß es heute eine rechtsextreme Partei wagt, unter diesem Signum aufzutreten?

In Ost-Berlin wurde anläßlich des Geburtstages in Anwesenheit der Ossietzky-Tochter Rosalinde von Ossietzky -Palm ein Denkmal enthüllt. Die DDR versucht schon lange, Ossietzky als kritischen Denker für sich zu vereinnahmen, obwohl dieser nie der kommunistischen Partei angehörte. Und sie hat vor einem Jahr vier unliebsame Schüler der nach Ossietzky benannten Oberschule in Pankow der Schule verwiesen, die für demokratische Reformen eingetreten waren

-sicher nicht im Sinne des Namensgebers, wie Momper in seiner Rede betonte. In West-Berlin ist noch nicht einmal eine Straße nach ihm benannt, auch wenn er sich damit in prominenter Gesellschaft befindet. An linke Querdenker erinnert man sich nicht gern im westlichen, für sich den Alleinvertretungsanspruch reklamierenden Teil des ehemaligen Deutschen Reiches. Ossietzky wurde oft genug als Kommunist und Pazifist, als Republikgegner und Vaterlandsverräter diffamiert.

Mit der Beschreibung dieser Schwierigkeit begann Albertz seine Rede. Ossietzky, so Albertz, war der Repräsentant einer linken aufrechten Minderheit, der unserem Lande mehr Ehre als alle Hindenburgs, Schleichers und Papens zusammen gemacht habe. Ossietzky, erbitterter Gegner des monarchistischen Kaiserreichs, bekämpfte unermüdlich dessen Fortbestehen in Moral und Institutionen in der ersten deutschen Republik. Albertz erinnerte daran, wie Ossietzky mit analytischer Schärfe und nüchtern formuliert über die ungeheurlichen Fememorde schrieb, über die Machenschaften der Weimarer Justiz oder die geheime Aufrüstung der „schwarzen Reichswehr“. 1931 wegen Landesverrats verurteilt, trat er 1932 die dafür verhängte Haftstrafe an, nicht ahnend, daß er kaum sieben Wochen nach seiner Entlassung von der Gestapo verhaftet würde. Ossietzky hatte sich geweigert, das Land zu verlassen, und noch während seiner ersten Haft an Tucholsky geschrieben: „Ein Eingesperrter kann ein sehr wirksames Plakat sein.“

Er blieb, oft von Freunden gescholten dafür, bis zum Ende standhaft und starb 1938 an den Folgen seiner KZ -Gefangenschaft. Albertz beschrieb in seiner Rede den Grundkonflikt aller politischen Publizistik, der bis heute gültig sei und auch Ossietzkys Schreiben bestimmt habe.

Albertz bedauerte den Niedergang der politischen Publizistik im deutschen Sprachraum und rühmte Ossietzky als glanzvollen Journalisten, dessen Texte ein Muster an sprachlicher Genauigkeit und Intelligenz seien. Bissig teilte er in diesem Zusammenhang den im Saal nur spärlich anwesenden Journalisten mit, daß er, entgegen den allgemein üblichen Gebräuchen, seinen Redetext weder vorher noch nachher in schriftlicher Form verteilen ließe. „Wer mich zitieren will, muß schon anwesend sein.“

Nach dieser historischen Würdigung Ossietzkys, für die es nicht schwer war, im Saal Zustimmung zu finden, wurde Albertz unbequem, er fragte bohrend und verwies auf die Situation im deutsch-deutschen Verhältnis. Bei der Frage, wo Ossietzky heute stünde, sei große Vorsicht am Platze. „In welchem deutschen Staate hätte er leben wollen? Wie lange hätte er es ausgehalten, und wie lange wäre er ausgehalten worden?“

Was würde er sagen zur Verurteilung der Blockierer in Mutlangen, zu den starren alten Männern jenseits der Mauer, zur täglichen Heuchelei im politischen Geschäft, zur Wiederaufwärmung der deutschen Frage durch konservative Politiker? Antwort Albertz: Er würde uns auch heute nicht die Wahrheit ersparen, seine genau recherchierte, nüchtern vorgetragene Wahrheit.

Der Beifall für all diese Fragen fiel gedämpfter aus, auch auf Albertz‘ abschließenden Appell, jetzt an die zu denken, die drüben bleiben. Beim anschließenden Empfang bei Sekt und Wein im Foyer der Staatsbibliothek konnte man zum Glück diese bohrende Nachdenklichkeit leicht vergessen...

Kordula Doerfler

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