Das blutbefleckte Kornfeld

■ Das ZDF zeigt einen preisgekrönten chinesischen Film um 22.40 Uhr

Ereignisse bestimmen die Blickrichtung. Selten hat ein Film so unterschiedliche Bewertungen erfahren wie dieser. Als die Berlinale-Jury 1988 die Preisträger verkündete, hatten die meisten der anwesenden Journalisten den Sieger des Wettbewerbprogramms gar nicht gesehen. Die weitsichtigen Filmkritiker hatten dem Beitrag aus China wohl noch nicht mal eine lobende Erwähnung zugetraut. Die taz, die das Ereignis auch verschlafen hatte, fand glücklicherweise einen aufmerksamen Festivalbesucher, der etwas zu dem Gewinner sagen konnte. Der lobte seinerzeit dann die unspektakuläre und unheroische Erzählweise. Der realistische Filmstil stehe für die Ablehnung von Sentimentalität und ideologischer Starre. Auch 'epd-Film‘ bescheinigte dem Regisseur Zhang Yimou die Fähigkeit, „in seinem Herkunftsland ästhetische und moralische Konventionen über Bord zu werfen“. Der 'Spiegel‘ sah dagegen damals schon in der expressiven Bildsprache „erstaunliche Zeichen für Leidenschaft und Gewalt“. Ein Jahr später wollte Karsten Versarius in 'epd -Film‘ dann auch nicht mehr die Konventionen sprengenden Qualitäten erkennen, sondern bescheinigte dem Werk eindeutige Konzessionen an ein politisch-ideologisches Kino: „Man kann diese Bilder heute nicht mehr sehen, ohne daß sich andere vor sie schieben: jene nämlich, in denen die gleiche rote Armee ihre Panzer und Geschütze gegen das eigene Volk richtet, gegen die demonstrierenden Studenten auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking. Die Bilder dieser Politisch verfügten Mordaktion durchkreuzen die Absicht der Filmbilder, dem Zwang des Politischen eine unschuldigere Wahrnehmung abzuringen. Das ist das Pathos des Films, aus dem er seinen elementaren Ausdruckswillen, den Tonfall des Dringlichen, seine innere Leidenschaftlichkeit schöpft.“

Zwischen der Auszeichnung des Außenseiterfilms aus China 1988 und der heutigen Ausstrahlung im ZDF liegt die blutige Niederschlagung der Freiheitsbewegung in China durch die Militärs am 4. Juni 1989. Ist das Kornfeld dadurch blutrot geworden? Der Film besticht durch seine kraftvolle Bildsprache, die perfekte Inszenierung und die ungewöhnliche Kameratechnik. Zhang erzählt mit einer fast augenzwinkernden Leichtigkeit eine archaische Geschichte aus der ländlichen Provinz Xian, die mit einem grausamen Blutbad endet. Ein junges Mädchen wird von ihrem Vater als Braut an einen alten kränkelnden Schnapsbrenner verkauft. Auf dem Weg zu ihrem zukünftigen Bräutigam läßt sich die Unglückliche bei einem fingierten Überfall auf die Brautsänfte von dem heimlich geliebten Sänftenträger im roten Hirsefeld, durch das die Wege immer wieder kreuzen, verführen. Der Schnapsbrenner verschwindet spurlos, und die junge Witwe, die den Betrieb kurzerhand kollektiviert, baut ein florierendes Geschäft auf. Das Geheimnis ihres Hirseschnapses liegt in ein paar Tropfen Urin. Jahre später überfallen die Japaner das Land, und das Hirsefeld, Rohstofflieferant für das betörende Getränk und sanfte Liebesstatt, wird zur grausamen Hinrichtungsstätte. Genauso realistisch, wie Zhang vorher das Trinkgelage der Schnapsbrenner zeigt, so deutlich sind seine Bilder, wenn den gefangenen Chinesen bei lebendigem Leib die Haut abgezogen wird.

Konsequent gemachtes Kino, das sich trotz des bescheidenen Budgets von nur 300.000 Mark an internationalen Standards messen läßt, das ist Das rote Kornfeld vor allem. In ihm allein den Ausdruck für offenere chinesische Filmpolitik vor dem 4. Juni sehen zu wollen, ist ebenso falsch wie die These, der Film würde die Grausamkeiten der Roten Armee bereits vorwegnehmen. Auf der Berlinale 1988 gab es andere chinesische Filme, die wesentlich provokanter waren. Wahrscheinlich würde der Film, wenn er heute in China gedreht würde, genauso „freizügig“ ausfallen. Andererseits gehört der Regisseur Zhang Yimou zur jungen Filmemachergeneration Chinas, die von deren Aufbruchswillen künden. Das Massaker auf dem Tiananmen-Platz wird auch ihn erschüttert haben. Im ARD kann man sich demnächst von seinen schauspielerischen Leistungen überzeugen. Für seine Rolle in Alter Brunnen (16. Oktober, 23 Uhr) wurde er in Tokio ausgezeichnet.

Ute Thon