Prager Botschaft ist und bleibt - leer

■ Flüchtlinge dürfen wieder ausreisen / DDR macht letzte freie Grenze dicht / Nicht mehr ohne Visum nach Prag Flüchtlinge stürmten Prager Botschaft / Mission seit gestern gesperrt / UdSSR: BRD und DDR sollen Fluchtproblem alleine lösen

Bonn/Prag/Berlin (taz/dpa/ap) - Auch die neuen Besetzer der bundesdeutschen Botschaft in Prag dürfen ausreisen. Diese wiederum aus „humanitären Gründen“ getroffene Entscheidung der DDR-Führung wurde gestern nachmittag der Bundesregierung durch den Leiter der ständigen Vertretung der DDR, Horst Neubauer, überbracht. Nach Angaben von Kanzleramtsminister Rudolf Seiters, der sich dabei auf ein Telefonat von Bundeskanzler Kohl mit dem CSSR-Außenminister bezog, werden von der Ausreiseerlaubnis rund „zehn- bis elftausend“ Menschen betroffen, die in den letzten zwei Tagen vor oder in der Botschaft eintrafen. Zugleich wurde bekannt, daß die CSSR und die DDR den paß- und visafreien Verkehr zwischen den beiden Ländern ausgesetzt haben.

Minister Seiters teilte mit, die Ausreise werde auf die selbe Weise wie bei der Aktion am vergangenen Wochenende erfolgen. Der erste Zug sollte bereits am gestrigen Dienstag abend gegen 20 Uhr abfahren. Auf Nachfrage teilte Seiters mit, in der DDR-Erklärung sei lediglich von den Flüchtlingen in der Prager Botschaft die Rede. Er gehe aber „selbstverständlich“ davon aus, daß dies auch für die Menschen vor der Botschaft gelte. Neubauer hatte bei der Überbringung der DDR-Entscheidung die Bundesrepublik zugleich kritisiert, sie habe sich nach der letzten Ausreiseaktion nicht an Absprachen gehalten. Der Kanzleramtsminister wies diesen Vorwurf zurück. Aus Prag wurde Jubel gemeldet.

Weniger Grund zum Jubeln haben haben die DDR-BürgerInnen, die noch im Lande sind. Seit gestern können sie nicht mehr problemlos in die Goldene Stadt reisen. Die Ostberliner Führung hat den paß- und visafreien Verkehr mit der Tschechoslowakei gestoppt. Ein Zeitraum für diese Maßnahme wurde nicht genannt. Jetzt können DDRler ohne Genehmigung ihrer Behörden in kein einziges Land mehr fahren.

Bis gestern morgen hatten sich wieder rund 4.500 DDR-Bürger auf das Gelände der bundesdeutschen Botschaft in Prag geflüchtet. Am frühen Morgen wurden keine neuen Flüchtlinge mehr eingelassen, nachdem das Rote Kreuz erklärt hatte, daß es aus „technischen Gründen unmöglich sei, weitere Menschen auf dem Gelände aufzunehmen. Vor dem Palais Lobkowicz drängten sich weitere DDR-Bürger. Zahlreiche DDR-Flüchtlinge verschafften sich mit Gewalt Zugang zu der gesperrten Mission. Die CSSR-Polizei, die das Gelände bewachte und den Zugang zum Botschaftszaun absperrte, sei zur Seite getreten, hieß es im Auswärtigen Amt in Bonn. Augenzeugen berichteten in Prag, eine Gruppe von 250 DDR-Flüchtlingen, die von CSSR -Polizisten aufgehalten worden seien, habe sich losreißen können, sei zum Zaun gerannt und auf das Gelände geklettert.

Die CSSR hat der Bundesregierung im Zusammenhang mit den Flüchtlingen in der Prager Botschaft Wortbruch und Verantwortungslosigkeit vorgeworfen. Regierungssprecher Miroslav Pavel sagte gestern, seine Regierung habe sich „initativreich und aktiv“ an der Suche nach einem allseits annehmbaren Ausweg beteiligt und alle notwendige humanitäre, gesundheitliche und technische Hilfe geleistet, heißt es in der von Nachrichtenmedien verbreiteten Erklärung. Zugleich sei man darüber informiert worden, die Bundesregierung werde sicherstellen, daß sich eine ähnliche Situation nicht wiederhole. Dies habe sich nicht bewahrheitet.

Die Sowjetunion und die USA sollten sich nicht in Verhandlungen über die Ausreise von DDR-Bürgern in die Bundesrepublik einmischen. Diese Meinung vertrat der sowjetische Außenminister Eduard Schewardnadse am Montag abend während eines Vortrages in New York. „Die DDR und die Bundesrepublik sind zwei souveräne Staaten, die in der Lage sind, dieses Problem allein zu lösen“, sagte er. „Wir sollten uns aus deren Angelegenheiten heraushalten.“