„Wohngruppe“ oder Knast im Knast?

■ Grünes Hearing zum geplanten „Wohngrupen-Vollzug“ / Schwierige Balance zwischen sozialpädagogischem Zugriff und mehr Selbstbestimmung

Es hört sich zu zwei Wortdritteln richtig heimelig an, was der Justizsenator für den Bremer Knast geplant hat: „Wohn -Gruppen-Vollzug“. Der soll bald endlich den Knast der Kaiserzeit ablösen, Schluß machen mit grausig übersichtlich langen Fluren und Kommandobrücken dazwischen als sichere Inseln für die Wächter. Statt Massenvollzug dann Kleingruppen von 10 bis 30 Gefangenen, die unter Anleitung ihren Alltag mehr selbst organisieren sollen: waschen, kochen, reden, kicken.

Anläßlich der geplanten Wohngruppen-Reform im Bremer Knast Oslebshausen organisierten die Grünen ein ganztägi

ges Hearing („Wohngruppen- Vollzug, Kontrolle oder Autonomiegewinn?“) in der Bürgerschaft und luden bremische und auswärtige Referenten ein. Das Interesse war groß: Im Publikum saßen Anwälte, auch Bremer Knastleiter, ehemalige Knackis, Referenten der Justizbehörde, Knastbedienstete, Interessierte.

Unstrittig war: Das Drogenproblem im Knast ist allgegenwärtig. Sämtliche Flausen von „Behandlungsvollzug“ und „Resozialisierung“ durch Therapie oder Arbeit im Knast sind ersatzlos abzuschminken, Verwahrung ist angesagt. Die Schließer sind in hohem Maße dienstunfähig und demotiviert. Die Täter-Rückfall

quote liegt zwischen 80 und 90 Prozent.

Wie kann man den Massenvollzug und die Willkür des Apparats abschaffen, ohne den Knast zum Preis dafür sozialpädagogisch mitten in die Köpfe der Gefangenen zu tragen? Die Aussicht, in „Wohn-Gruppen“ leben zu dürfen, versetzt weder Gefangene, die um letzte Nischen und Rückzüge fürchten, noch ihre Bediensteten mit wenig Neigung zu neuen Experimenten spontan in Euphorie.

Die meisten Referenten sträubten sich schon bei dem schönfärberischen Wort „Wohngruppen“. In Schwerte gibt es die seit 1978. Die Bilanz sei „äußerst enttäuschend“, berichtete Prof. Schulte-Altendorneburg, ehemals tätig im dortigen Vollzug: Statt Freiräume für anderen Umgang im Knast gab es Zellenrevision mit dem Zentimetermaß; nach Verordnungen aus der Backsteinzeit durften Betten nicht an Außenmauern stehen: „Alles ging nur in den Grenzen der alten Sicherheit und Ordnung, die Bediensteten blieben die 'Habe -Verwalter‘. Das Modell ist gescheitert an totaler Resignation und der fehlenden Unterstützung von oben.“

Auch der Kieler Knast läuft als Modellversuch mit Wohngruppen. Von ganz bescheidenen Errungenschaften nach „wahnsinnigem Anspruch“ und nur mühsam kleinsten Schritten berichtete der stellvertretende Knastleiter Jörg Alisch. Nur wenn Gefangene und Bedienstete in festen kleinen Gruppen verläßlich aufeinander eingestellt seien, gäbe es eine Chance. Und: Gerade das Sicherheitsargument dürfe man nicht den anderen überlassen, „Weil es immer nur soviel Selbstverantwortung gibt, wie die Sicherheitspraktiker zulassen: Wir müssen reden statt wegschließen.“

Auch der Anstaltspsychologe aus Oslebs, Ingo Straube, wollte bei den Bediensteten ansetzen. (Das Publikum kritisierte das als „Pferdeäpfel-Theorie“: Wo vorn gut gefüttert wird, kommt hinten

für die Gefangenen auch was raus.) Er konstatierte Lieblosigkeit und Verwahrlosung der Gefangenen, sprach von passiven, rechtsradikalen, duckmäuserischen und frustiert -zynischen Beamten. Seine Thesen: Solange die Bediensteten entmündigt sind, lohnt für keinen Knacki die Auseinandersetzung; gesetzlich vorgesehene Lockerungen scheinen so unbeeinflußbar wie Lotterie. „Be-Mündigung des Personals!“ forderte Straube, Auseinandersetzung in heterogenen Gruppen und verbindliche, transparente Entscheidungen.

„Schneller Zugriff“

„Klarheit“ wollte auch Diplom-Pädagoge Gerd Koop aus dem Lingener Knast mit seinem verdächtigen Vokabular der „aufsuchenden Drogenarbeit“ mit „schnellem Zugriff“ und der „direkten Informationen“. Gegen das Gerede von Selbstbestimmung plädierte er bei wachsendem Unmut des Publikums dafür, „die Gefangenen im eigenen Interesse zu Lockerungen zu zwingen“, sie unter Druck zu setzten, sich an Freizeit wie Kegeln und Squash zu gewöhnen und so ihre Isolierung („Die haben nur Drogen im Kopf“) aufzubrechen. In Lingen bekommt Urlaub, wer 6 Wochen saubere Urinkontrollen vorlegt - abzulassen nackt im Spiegelklo. Die anderen bleiben sitzen.

Justiz-Referent Dr. Jürgen Hartwig („Wir haben keine Konzepte, sondern Grundsätze“) kündigte an, daß in Bremen 1990 mit den ersten Knast-Umbauten begonnen und dann erst mal „Erfahrungen gemacht und überprüft“ werden solle, verwies auf die begleitenden ambulanten Hilfen und Haftvermeidungskonzepte. Auch in Nordrhein-Westfalen

sollen jetzt flächendeckend Wohngruppen eingeführt werden aber seit zehn Jahren hat sich noch kein Politiker für die Schwerter Modell-Erfahrungen interessiert - ein Indiz dafür, daß „neue Schlagworte statt neuer Modelle“ politisch als Wechsel der Verpackung eingeführt werden sollen, befürchtete denn auch Strafrechtler Prof. Johannes Feest: „Jede Erleichterung kann entzogen und zur Diszpilinierung mißbraucht werden!“ Seine Prioritäten: „Haftverkürzung, Haftbedingungen und Arbeitsbedingungen der Beamten verbessern - in dieser Reihenfolge.“

Neue Mogelpackung

Kleingruppe heißt immer: Bedienstete lernen Gefangene noch besser kennen, soziale Kontrolle wird als soziale Sicherheit verkleidet. „Ja, wollt ihr denn zurück zum Kaiserreich? Braucht jetzt jedes Kind gegen seine Lehrer oder Eltern einen Anwalt?“ regte sich Jörg Alisch über den Kontroll -Verdacht auf. Für die schwierigen Balancen zwischen Respekt bzw. Selbstbestimmung

und sozialpädagogischen Zugriff gab es keine Rezepte. Und sogar der Schwerter Referent („Modell ist total gescheitert“) zerbricht sich weiter den Kopf über Wohngruppen: „Zehn Jahre sind eine verdammt kurze Zeit.“ Die ehemaligen Gefangenen im Publikum jedenfalls fanden es absurd, „Vertrauen in den zu setzen, der meine Post und meine Pornos liest und mich einschließt“. Und waren empört: „Hier geht es immer um die Bediensteten und nicht um uns.“ Vorschläge aus dem Publikum: Fangt doch an mit Waschsalons und mehr Zuständigkeit, schafft doch eine Kleingruppe und guckt, ob das wirklich für Gefangene und ihre Kontrolleure so attraktiv ist. Erstes Resümee der grünen Abgeordneten Carola Schumann: Bloß keinen neuen Mythos aus den Wohngruppen machen, die doch „Zwangsgemeinschaften“ bleiben, und für größte Offenheit der Gruppen und Wahl-und Entscheidungsmöglichkeiten der Gefangenen sorgen - sonst wird das der kleine Knast im Knast.

Susanne Paa