Champs Elysees für Rixdorf

■ Die Pläne des Neuköllner Baustadtrats Branoner: Karl-Marx-Straße soll Prachtboulevard werden / Der Umbau beginnt 1992, die Kosten pro Jahr: 80 Millionen Mark / Sonnenallee und Hermannstraße bleiben weiterhin Stiefkinder

Nach zweijähriger Planung war es gestern soweit: Der Neuköllner Baustadtrat Branoner stellte sein Konzept „Neugestaltung der Karl-Marx-Straße“ der Presse vor. Dazu wurden Kaffee, Limonade und belegte Brötchen gereicht. Rathausdienerinnen in roten Kitteln huschten hin und her, die Zeitungsfritzen kauten und schluckten. Der Baustadtrat erschien in weinrotem Lambswoolpullover, Schlips und Jackett, Wim-Wenders-Brille und lichtem Blondschopf, niedlich und aalglatt wie seine Ausführungen.

Erscheinungsbild und Aufenthaltsqualität der Straße sollen verbessert werden. Beispielsweise indem man aufspringt auf „den Zug der Zeit, der voll im Fahren ist: die Kultur“, wobei an Kinos und Bowlingbahnen gedacht wird. Dafür sollen die beherrschenden Kaufhäuser „neutralisiert“ werden, indem lustige Bäumchen vor die Fassaden gepflanzt werden. Verschönerungen der Fassaden sollen gefördert werden. Der fließende Verkehr bleibt zweispurig erhalten (allerdings: „Von Tempo 30 halte ich nichts“), die Radfahrer sollen mithalten oder auf die Donaustraße ausweichen. Die verschiedenen Fahrbahnbreiten werden angeglichen, den Fußgängern breitere Gehwege geschaffen. Anstatt der Grünsträucher in Betonpötten denkt man an echte Baumreihen. Zudem sollen „kleingliedrige Randnischen für ungestörtes Verweilen, Ausruhen und Freizeitbetätigung“ geschaffen werden. 1992 sollen die Arbeiten losgehen, zunächst im „Filetstück“ zwischen Hermannplatz und Fuldastraße. Die Kosten veranschlagt der Baurat auf 80 Millionen Mark jährlich.

Das von der Presse prompt als „Jahrhundertplan“ titulierte Konzept sieht tatsächlich nur eine Verschönerung der Straße als Konsumbereich vor. Die fünftausend Anwohner haben keine Verbesserungen zu erwarten. Alltäglich sind die Staus am Morgen und Nachmittag und die nächtlichen Rasereien über den gähnend leeren Boulevard. Abzusehen ist wohl auch, daß die dahinsiechenden Parallelstraßen Sonnenallee und Hermannstraße weiter ins Hintertreffen geraten werden.

Olga O'Groschen