„Setzt den Dialog mit der SED fort“

Berliner SPD-Fraktion besuchte Dresden / Gespräch mit dem Fraktionsvorsitzenden Staffelt  ■ I N T E R V I E W

taz: Ihre Fraktion war auch in diesem Jahr wieder auf einer Gesprächsreise in der DDR. In diesem Jahr haben Sie sich Dresden ausgesucht. In dieser SED-Bezirksleitung arbeitet Hans Modrow, der ja als SED-Reformer gilt.

Dietmar Staffelt: Der Bezirk Dresden ist von seinen Strukturen im Bereich der Kultur und Wirtschaft von hohem Interesse. Mit Hans Modrow haben wir schon vor Jahren ein solches Gespräch gehabt. Mit der Planung dieser Reise haben wir im September begonnen und haben uns aus verschiedenen Gründen, auch aus politischen Gründen, für Dresden entschieden.

Sie haben mit der SED-Bezirksleitung gesprochen allerdings vertraulich. Welche Kontakte hatten Sie sonst noch?

Wir haben ganz offiziell mit der Leitung der evangelischen Landeskirche gesprochen. Wir haben mit vielen jungen Leuten in verschiedenen Einrichtungen, auch mit Studenten und Studentinnen des Diakonischen Werks, gesprochen. Außerdem hatten einzelne Abgeordnete am Montag abend Begegnungen mit Vertretern der Opposition, was in der jetzigen Situation nicht so einfach ist. Hier hat aber nicht die Gesamtfraktion diskutiert, sondern hier hat es Einzelgespräche gegeben. Aber es hat diesbezüglich auch keine Einflußnahme der SED gegeben.

Was haben diese „Einzelgespräche“ ergeben?

Gesprochen wurde vor allem mit Vertretern des Neuen Forums, über die Lage in der DDR und über Perspektiven. Es ging immer wieder um die Frage, ob die SED reformfähig ist. Da gibt es sehr unterschiedliche Einschätzungen. Uns Sozialdemokraten wurde durchweg geraten: „Setzt den Dialog mit der SED fort, ihr seid für uns ein Hoffnungsträger, weil ihr vielleicht die SED in bezug auf die Notwendigkeit von Reformen mitbeeinflussen könnt.“

Die SPD-Fraktion hat am Montag mit der SED-Bezirksleitung diskutiert. Welche Eindrücke haben Sie mit nach Hause genommen?

Gerade was die Einschätzung der Flüchtlingswelle und die Lage der DDR angeht, haben wir festgestellt, daß in der SED doch erhebliche Nuancierungen bestehen: Das reichte von den bekannten Erklärungen, die lediglich eine Hetzkampange der BRD als Ursache sehen, bis hin zu sehr differenzierten Auffassungen, warum diese Situation entstanden ist. Wir haben den SED-Leuten klar gesagt: Es geht uns nicht um die Wiedervereinigung und um eine Diskussion über Grenzen, es geht auch nicht um Kapitalismus oder Sozialismus, sondern um die Frage, wie man unterhalb der Schwelle der Machtfrage Reformen in den Betrieben wie in der Gesellschaft generell durchführen kann. Von jungen Leute haben wir in Dresden ja immer wieder gehört: Wir stehen zur DDR, wir wollen eine sozialistische Gesellschaft, aber nicht mehr in dieser pervertierten Form. Ich bin aber ganz sicher, daß es aus der SED heraus Vorschläge geben wird, was umzugestalten ist. Vorschläge, die, in welcher Form auch immer, erstmals in der ZK-Sitzung im November diesen Jahres eingebracht werden könnten. Das ist eigentlich sehr spät, aber offenbar braucht die SED diese Zeit, um vernünftige und tragfähige Vorschläge entwickeln zu können.

Interview: Ursel Sieber