Walter Momper will zwei deutsche Staaten

■ Der Regierende Bürgermeister Walter Momper äußert sich zur Lage in der DDR / Er betonte erneut Gesprächsbereitschaft mit SED und oppositionellen Gruppen / DDR-Opposition will keine Wiedervereinigung / Momper wirft CDU ungeheuerliche Instrumentalisierung vor

Walter Momper hat die Weisung der DDR, den paß- und visafreien Verkehr mit der CSSR zu stoppen, gestern auf einer Pressekonferenz „als schweren Fehler“ bezeichnet. Der Schritt sei nicht nur politisch falsch, er werde sich auch als „unwirksam“ erweisen. Gleichzeitig betonte Walter Momper erneut, daß der Senat gerade in dieser Situation „seine ungebrochene Gesprächsbereitschaft“ mit „allen“ in der DDR aufrechterhalten wolle: Momper nannte die Kirchen, die Umwelt- und Oppositionsgruppen und schließlich die SED -Führung. Er verwies darauf, daß die SPD-Fraktion erst am Abend zuvor von einer zweitägigen Besuchsreise aus Dresden zurückgekehrt sei (siehe nebenstehendes Interview). Wie Momper weiter sagte, verfolgen die Sozialdemokraten mit Interesse, „daß sich die Diskussion im Funktionärskörper und in der Mitgliedschaft allmählich öffnet“: In den Bezirks und Kreisgremien seien die Zeichen auf Veränderung gestellt. Momper betonte, zur Entspannungspolitik gebe es keine Alternative, „wir respektieren die DDR als Staat“.

Wie bereits in seiner letzten Regierungserklärung kritisierte Momper scharf die immer wiederaufflammende „Wiedervereinigungsrhetorik“: Diese Diskussion schade der Reformbewegung in der DDR und in anderen Staaten massiv, es sei „ungeheuerlich“, wie hier von einigen die Lage der Menschen in der DDR für eigene parteipolitische Zwecke „mißbraucht“ werde. (Außerdem stehe im Grundgesetz nichts von Wiedervereinigung, sondern von Einheit und Freiheit. Die Entwicklung Europas orientiere sich nicht am Modell der Nationalstaaten alter Prägung und werde dort auch nicht angelangen: Europa werde nicht die Gemeinschaft von starren Staaten, sondern von „freien Europäern“ sein, die Grenzen würden so ihren trennenden Charakter verlieren.)

Die CDU forderte Walter Momper auf, das „Selbstbestimmungsrecht“ der dortigen Demokratiebewegung zu achten: Keine der DDR-Oppositionsgruppen rede von Wiedervereinigung, sondern von der Demokratisierung ihres Staates. Deutlich werde ein anderes Gesellschaftsbild, das nicht auf Kapialismus nach westlichem Muster abziele, sondern den Versucht darstelle, einen dritten Weg einzuschlagen. Momper betonte, der Senat sei „solidarisch“ mit den Forderungen der Opposition, weil diese eine tragfähige Perspektive für den zweiten deutschen Staat ermöglichten. An die DDR-Führung richtete Momper die Forderung, einen Dialog zwischen dem Staat und den Bürgern aufzunehmen, allen Bürgern Reisefreiheit zu gewährleisten, den „politischen Pluralismus öffentlich zuzulassen“, die Gewerkschaften zu unabängigen Interessenvertretungen zu machen sowie das Recht auf freie Meinungsäußerung zu respektieren.

urs