Kleine Erfolge für Polens Gefangene

Proteste in polnischen Gefängnissen halten an / Solidarnosc bemüht sich um Vermittlung Grund der Proteste: Gefängnis- und Justizwesen fast mittelalterlich / Amnestie abgelehnt  ■  Aus Warschau Klaus Bachmann

„Es wird keine Amnestie geben“, dementierte das Justizministerium jüngst Berichte über eine anstehende Entlassung zahlreicher protestierender Häftlinge. Zugleich jedoch hat sich die Lage in Polens Gefängnissen weiter zugespitzt, wie Adam Strzembosz, neuer stellvertretender Justizminister, Anfang dieser Woche mitteilte. „Seit einigen Tagen hat sich die Lage so verschärft, daß sowohl das Leben und die Gesundheit der Häftlinge, wie auch der Gefängnisangestellten bedroht ist“, sagte der Leiter des staatlichen Gefängniswesens, Romuald Soroko. Die Proteste, Hungerstreiks und Besetzungen von Arbeitsplätzen und Gefängnisräumen, die zumeist von Rückfalltätern mit langen Haftstrafen organisiert werden, haben seit Juni dieses Jahres in ganz Polen bereits 60 Haftanstalten erfaßt. Die Gefangenen fordern Verbesserungen in der Betreuung, bei der ärztlichen Versorgung, Änderungen der Haftordnung, Erhöhung der Entlassungsprämien sowie mehr Raum. Inzwischen, so das Justizministerium, das seit kurzem dem ZSL-Fraktionschef Bentkowski untersteht, komme es allerdings auch bereits zu Gewalttaten und der Zerstörung von Einrichtungen.

Begonnen hatte die Protestwelle im Juni, als die Zigarettenpreise erhöht wurden. Strafgefangene verdienen inzwischen im Durchschnitt 5.000 Zloty weniger als das Ernährungsminimum vor den Gefängnistüren beträgt. Doch ihnen wird soviel abgezogen, daß das Justizministerium sich inzwischen an das Sozialressort gewandt hat mit dem Vorschlag, jedem Gefangenen mindestens 15.500 Zloty monatlich zur freien Verfügung zu geben, egal wieviel er oder sie verdient. Auch sollen die Gefangenen der Lohnindexierung unterworfen werden, wie alle Beschäftigten.

Tatsächlich jedoch war die Tabakpreiserhöhung nur der äußere Anlaß für die Proteste, die Gründe für die Unzufriedenheit liegen tiefer und wurden von internationalen Organisationen wie der „Helsinki Watch Federation“ bereits mehrfach kritisiert: Polens Gefängnisse, die teilweise auch aus dem 18. und 19.Jahrhundert stammen, sprechen jeglichen internationalen humanitären Normen Hohn. 15 Haftanstalten verfügen über keine Kanalisation, 13 haben keine Zentralheizung. Während die Weltgesundheitsorganisation (WHO) als Mindeststandard zehn Quadratmeter pro Gefangenen fordert, unterschreiten polnische Zellen fast ausnahmslos fünf Quadratmeter, was vor allem eine Folge der Überbelegung ist. Als Fortschritt wird da etwa die Ankündigung des Justizministeriums gewertet, künftig eine Zelle mit nicht mehr als fünf Personen zu belegen. In einem Gefängnis kam es aufgrund der Arbeitsbedingungen zu Protesten: Die Gefangenen, die in einer Betonfabrik beschäftigt wurden, forderten zweimal wöchentlich ein Bad. In einem anderen Gefängnis bei Oppeln wurden inzwischen die Klos in den Sammelzellen abgemauert, bis dahin hatten sich die Insassen sozusagen öffentlich erleichtert. Manche der jetzt angekündigten Verbesserungen werfen ein bedeutsames Licht auf die Zustände in Polens Knästen: so etwa die Verkürzung der Zeit, für die „verschärfte Disziplinierung“ angeordnet werden kann. Nur noch maximal drei Monate lang darf ein Gefangener in die Isolationszelle gesperrt werden. Die Essensration darf man ihm nicht mehr kürzen.

Die Proteste haben nun in vielen Fällen tatsächlich zu Verbesserungen geführt. An den Vermittlungsgesprächen zwischen Gefängnisleitung und den Protestierenden nahmen zumeist nicht nur Kirchenvertreter, sondern auch Abgeordnete der Solidarnosc und Pressevertreter teil. Allerdings stießen die Zusagen von seiten des Justizministeriums bereits an eine erste Grenze: weitgehende Liberalisierungen sind aufgrund des gültigen Strafgesetzes nicht möglich. Adam Strzembosz, als Rechtsfachmann Unterhändler am runden Tisch für die Opposition und nun stellvertretender Justizminister, hat denn auch bereits eine Novellierung des Strafgesetzes angekündigt. Eine Amnestie soll es aber nicht geben, weil die Protestierer fast alle Rückfalltäter seien. Besonders einer von ihnen kann kaum auf Sympathie bei der neuen Regierung rechnen: Grzegorz Piotrowski - zur Zeit Hauptinitiator eines Häftlingsstreiks in Warschau. Er wurde 1984 wegen Mordes an dem oppositionellen Priester Jerzy Popieluszko verurteilt.